Der Reif der Wahrheit
Mit seiner Neuinterpretation von Aschenputtel liefert uns Rossini seine Sicht der Welt, die sich nicht auf Zauberei, sondern auf den Verstand gründet.
So erstaunlich es klingt: Einen Monat vor der Uraufführung von La Cenerentola war das Thema noch kaum gewählt und die Musik halb fertig. Rossini, der ein Jahr zuvor den Barbier von Sevilla komponiert hatte, war vom Teatro della Valle in Rom mit einer Oper beauftragt worden, wo er doch den Hauptteil seiner Arbeit Neapel widmete. Aber was spielte das schon für eine Rolle! Mit dem Librettisten Jaccopo Ferretti machte er sich an die Arbeit und lieferte seine eigene Version des Aschenputtel-Märchens, mit einem wichtigen Unterschied: Nicht der weiße Vogel ermöglicht Angelina (Aschenputtel) die Teilnahme am Ball, sondern ein als Bettler verkleideter Philosoph, der ihr Mitleid geweckt hatte. Ein wichtiger Unterschied mit weitreichenden Folgen: Schluss mit Zauberei, Tauben und goldenen Pantoffeln! Letztere werden hier durch einen Armreif ersetzt, den Aschenputtel dem Prinzen überreicht. Im 19. Jahrhundert ist es der Verstand, der obsiegt: eine Wahrheit, die sich auf ein Spiel der Verstellungen und vor allem auf eine temporeiche Komposition stützt. Mit diesem Meisterwerk offenbart Rossini ein weiteres Mal sein großes Talent und bestätigt damit, dass Richard Wagners Lobrede auf ihn durchaus berechtigt war: „Von allen Musikern, denen ich ihn Paris begegnet bin, ist er der einzig wahre große.“ (E.A.)
Weitere Informationen
– Ankündigung des Stücks auf der Website der Opéra du Rhin
– [Vidéo] Cécilia Bartoli in La Cenerentola 1997, Non piu mesta
– Artikel über La Cenerentola auf opera online
BONUS
Ausschnitte aus Cid von Pierre Corneille, inszeniert von Sandrine Anglade