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Heute wie gestern

Hausregisseurin Nora Schlocker inszeniert Gorkis Drama, das minutiös die Probleme der russischen Gesellschaft am Vorabend der Revolution beschreibt.

Maxim Gorkis Kinder der Sonne ist ein Lustspiel, das gegen diverse Elemente der Tragödie anzukämpfen hat: Liebesleid, Wahnsinn, Suizid, Seuche und daraus resultierende Unruhen. Gorki verfasste dieses frühe Drama 1905 in der Peter-und-Paul-Festung in St. Petersburg. Wegen seiner Unterstützung revolutionärer Ideen und seiner Empörung über die als «Blutsonntag» zu trauriger Berühmtheit gelangte Niederschlagung einer friedlichen Demonstration von Arbeitern gegen das zaristische Russland war der Dichter inhaftiert worden. Minutiös beschreibt er die Probleme der russischen Gesellschaft am Vorabend der Revolution.

Der Chemiker Protassow predigt vor dem Hintergrund einer grassierenden Cholera-Epidemie die Idee des künftigen Menschen, der nach Überwindung «der düsteren Todesangst» teil eines «grossartigen Organismus», der Menschheit in Freiheit, sein werde. Die Tragikomik des Stücks resultiert vor allem aus der Unkenntnis der russischen Intelligenzija in Bezug auf die eigenen Bediensteten, deren bildungsferne, bäuerlichpatriarchale Kultur zwar deutlich ins Wanken geraten ist, die nun jedoch bemüht sind, in die komfortablen Etagen des Kleinbürgertums aufzusteigen. Aussichtslos erscheint so das idealistische Projekt der Kinder der Sonne, Licht in die Finsternis der Unaufgeklärten zu bringen, dem Volk aus seiner unverschuldeten, vor allem durch die sozialen Umstände bedingten Unmündigkeit zu verhelfen. Diese Fehleinschätzung des Klassengefälles sowie das grundsozialistische Bedürfnis, über alle individuellen Lebenskonzepte hinaus die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit zu denken, entbehren im Europa des 21. Jahrhunderts keineswegs an Aktualität: Eine Utopie im Gewand der Dystopie, inszeniert von der Hausregisseurin Nora Schlocker.

Foto : Sandra Then


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