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Schamlos offen

Mit einem Ehestreit auf offener Straße befriedigt das Theater Basel die voyeuristischen Neigungen seines Publikums. Denn wer schaut nicht gerne dabei zu, wie bei anderen die Fetzen fliegen?

Wer in den kommenden Wochen am Theater Basel vorbeiläuft, dem könnte folgende Szene begegnen: Ein Paar streitet sich auf offener Straße lautstark über seine Beziehung – sie beschuldigt ihn, sich keine Mühe mehr zu geben, er unterstellt ihr auf dem eben verlassenen Geschäftsessen mit seinem Konkurrenten geflirtet zu haben. Es fliegen die Fetzen und kein noch so heikles Thema bleibt unangetastet – sei es der Sex, die Schwiegermutter oder die Kindererziehung. Und vom Foyer des Schauspielhauses aus sieht eine schaulustige Menge diesem Eklat zu, ohne dass auch nur einer einschreitet.
Ein Skandal? Nein, die Inszenierung des Theater Basels von Philippe Claudels Stück Red du mir von Liebe!. Regisseur Ulrich Lampen hat seine Schauspieler für dieses Stück kurzerhand auf die Straße gesetzt. Das Ergebnis ist eine Inszenierung, die jeden Abend etwas anders aussieht, denn das vermeintliche Paar Claudia Jahn und Vincent Leittersdorf müssen zufällige Begegnungen und Störungen in ihr Spiel miteinbinden. Und so bekommt das Stück mit seinen deftigen Dialogen und den humorvollen Pointen noch den besonderen Reiz des Unvorhergesehenen verpasst.
An sechs Abenden befriedigt das Theater Basel so vor allem den kleinen Voyeur in uns selbst – denn wer hat nicht schon einmal bei einem Streit auf offener Straße die Ohren gespitzt? Und welches langjährige Paar kennt nicht mindestens einen der Streitpunkte, die hier so schamlos ausgeschlachtet werden? Der Realismus der Inszenierung korresponiert auf pointierte Weise mit dem Realismus des Textes. Wer hat gesagt, dass das naturalistische Theater nicht mehr aktuell sei? (tbr)

Foto © Peter Schnetz


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