Das Festival Politik im freien Theater präsentiert ganz unterschiedliche Aspekte von Freiheit und bringt die Vielfalt des freien Theaters nach Freiburg. Wir haben mit Jutta Wangemann aus dem Festival-Team gesprochen.
Der verklärte Blick auf das tosende Meer, Vögel im kühlen Wind und eine gewisse Einsamkeit – Menschen sehnen sich danach frei zu sein! Je selbstbewusster eine Gesellschaft wird, umso mehr besteht der Einzelne auf seinem Recht auf Freiheit und Selbstbestimmung. Gleichzeitig scheint eine Umsetzung dieser Ideen in unserer vernetzten Welt aber immer mehr zur Unmöglichkeit zu werden. Das Theaterfestival Politik im freien Theater, das bereits seit 1988 politisch relevante Themen auf die Bühne bringt, beschäftigt sich dieses Jahr mit dem Thema Freiheit. Es wird deutlich, wie weit dieser Begriff ist, wie sehr er den Einzelnen im Alltag berührt, wie er missbraucht wird und wie emotional geladen der alte Traum von Freiheit auch heute noch ist. Das Theaterfestival der freien Szene, mitorganisiert und gefördert von der Bundeszentrale für politische Bildung, lässt an antikes Theater als gesellschaftliches Diskussionsforum denken.
Wir haben Jutta Wangemann, Dramaturgin am Theater Freiburg und Teil des Organisationsteams getroffen und darüber gesprochen, wie Freiheit im Theater politisch gedacht werden kann.
„Freiheit als ein gemeinsamer gesellschaftlicher Raum“
Wieso ist Politik im Theater wichtig und eignet sich als Thema ?
Politik bedeutet, dass man sich mit dem Zusammenleben von Menschen in einer Gesellschaft beschäftigt. Das Theater schafft einen öffentlichen Ort, an dem sich Menschen begegnen und wo wir darüber diskutieren, wie wir zusammen leben wollen. Das ist besonders interessant in Bezug auf das Thema Freiheit, weil wir dieses sehr in unseren privaten Raum genommen haben. Uns interessiert es aber zu fragen, wie wir Freiheit als einen gemeinsamen gesellschaftlichen Raum gestalten wollen. Als Theater fragen wir uns, wo in einer Stadt öffentliche Räume sind, wo sich sehr unterschiedliche Menschen treffen und miteinander verständigen, vielleicht auch streiten, vielleicht zu Kompromissen kommen können. Wir wünschen uns, dass das Theater so ein Ort sein könnte.
Frontex security von Hans-Werner Krösinger © David Baltzer
Was war dem Festival-Team wichtig bei der Auswahl der Stücke?
Als Fokus hatten wir das breite Thema Freiheit. Dieser Begriff ist in unserer Gesellschaft ökonomisiert worden und wird vor allem in der Werbung – für Produkte, aber auch in der politischen Werbung – verwendet. Dadurch ist er für uns sehr leer geworden und wir würden ihn gern wieder neu mit Inhalt füllen.
Uns hat es interessiert eine gewisse Vielfalt von Ansätzen auch inhaltlicher Art zu finden. Beispielsweise zeigt Corinne Maier mit past is present wie sich die neuen Freiheiten der Globalisierung durch Migrationsbewegungen Einzelner auf die Familie auswirken und geht der Frage nach: Was passiert mit diesen Urzellen von Gemeinschaft? Aber es werden auch völlig andere Arbeiten gezeigt, wie FRONTex SECURITY von Hans-Werner Krösinger. Der aufklärerische Abend bietet klassisches Dokumentartheater über die Arbeit von FRONTEX, der Agentur, die die europäischen Außengrenzen sichert. Hier stellen sich Fragen wie: Was passiert, wenn die Europäische Union die Sicherung ihrer Außengrenzen einer privaten Agentur überantwortet? Was für rechtsfreie Räume entstehen dabei? Wer trägt Verantwortung und entziehen wir uns dieser? Denken wir Sicherheit nur nach innen oder denken wir auch an die Sicherheit von Flüchtlingen?
„Künstler in der freien Szene sind in gewisser Weise mehr in der Realität angesiedelt“
Was genau hat man sich unter der freien Theaterszene vorzustellen?
In Deutschland gibt es die festen Häuser, wie das Theater Freiburg, die ein Grundbudget von der Stadt bekommen. Die Leitung der Häuser beauftragt Künstler, die den Theaterapparat benutzen. Dagegen müssen die, die in der freien Szene arbeiten, einen Projektantrag stellen. Sie müssen immer ihre eigenen Produktionsbedingungen mitdenken und ohnehin schon sehr politisch denken. Dadurch sind sie in gewisser Weise mehr in der Realität angesiedelt.
Ceci n’est pas von Dries Verhoeven © Willem Popelier
Gibt es denn bestimmte Ausdrucksformen, die besonders politisch wirken? Oder steht man eher vor einem Kaleidoskop an Möglichkeiten?
Beim Festival bieten wir eher ein Panorama. Traditionell gibt es politisches Theater, welches den Zuschauer mehr beteiligt und teilweise findet sich das bei den Produktionen. So bei Ceci n’est pas, einer Installation im Stadtraum von Dries Verhoeven, die einen Raum für öffentliche Debatte öffnet. Außerdem wäre Anonymous P. von Chris Kondek und Christian Kühl zu nennen – eine Installation, in der eine Performance stattfindet und wo die Besucher aktiv mit ihren Handys beteiligt sind.
Aber die meisten anderen Produktionen sind dieses Mal tatsächlich eher klassische Theaterproduktionen in der Form: Menschen auf einer Bühne, die etwas tun. Das Politische spielt sich oft auf einer anderen Ebene ab. In Chefferie formulieren Performer aus verschiedenen afrikanischen Ländern ihren Blick auf Afrika. Das Politische liegt hier in der Frage: Wer spricht? Wer hat die Plattform Bühne? Die Produktion ist in Deutschland entstanden und die Gruppe ist erst vor kurzem zum ersten Mal in Afrika aufgetreten. Da stellen sich ganz konkrete Fragen: Bekommen die Künstler ein Visum? Was ist mit den Ebola-Gebieten aus denen sie zum Teil kommen? Hier sind also eher die Produktionsbedingungen sehr politisch.
Gibt es Stücke, die Ihnen persönlich besonders am Herzen liegen?
Ich habe mich persönlich besonders für solche Abende eingesetzt, die von Künstlern kommen, die im deutschsprachigen Raum bisher noch nicht so bekannt sind. Dear Moldova von Jessica Glause ist zum Beispiel sehr spannend. Der jungen Autorin und Theatermacherin geht es um sexuelle Selbstbestimmung. Außerdem finde ich auch more than naked von Doris Uhlich, einen Abend ohne Sprache, großartig. 20 nackte Performer untersuchen ihre Körper, lassen ihr Fett schwabbeln und tanzen. Der Abend zeigt, dass wir alle körperlich sehr vergänglich sind und allmählich verfallen. Aber er entwickelt trotzdem eine großartige Lebensfreude und eine Lust am Körper.
„Unsere Freiheit steht zur Disposition“
Sie haben sich das Begleitprogramm und die Diskussionsrunden mit der Bundeszentrale für politische Bildung überlegt. Was waren dabei Schwerpunkte?
Wir kamen als Festival-Team auf drei Komplexe innerhalb des Freiheitsthemas. Einmal die Frage nach dem öffentlichen Raum: Wem gehört die Stadt? Wer entscheidet, wo ich leben darf? Muss ich an den Rand der Stadt ziehen, weil ich nicht mehr in der Innenstadt leben kann? Das passiert gerade in allen europäischen Städten.
Der zweite Komplex fragt nach unserem Europabegriff. Einige Länder wollen gerne in Europa sein – innerhalb von Europa gibt ein Rückbesinnen auf Nationalstrukturen. Zu diesem Schwerpunkt gehört das Thema Migration und die Frage: Wie frei kann ein Flüchtling sein?
Der dritte Schwerpunkt beschäftigt sich mit der Frage des digitalen Paradigmenwechsels. Das Internet, das größte Freiheitsversprechen der letzten Jahre, entpuppt sich gerade als komplett konsumgesteuerter und auch militärisch überwachter Raum, der so zielstrebig in eine neue Unfreiheit führen könnte. Auf diesen drei Feldern steht unsere Freiheit zur Zeit am meisten zur Disposition.
Interview geführt von Ann Kathrin Herold
Photo : Esso Häuser Echo de Sylvi Kretzschmar
Politik im freien Theater, vom 13. bis zum 23. November in Freiburg
Um mehr darüber zu erfahren, finden sie hier Artikel und Video auf szenik
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