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Es gibt derzeit wenige junge Choreographinnen, bei denen die große internationale Karriere so vorgezeichnet erscheint wie bei Sofia Nappi. Dabei ist sie bei Lichte betrachtet erst vier Jahre im Geschäft – seit 2019, als sie die Company KOMOCO mitbegründete und mit Holelah deren Debüt bei La Biennale Di Venezia feierte. Spätestens ab dem Introdans Partner Award 2021 bei der Rotterdam International Duet Choreography Competition ging es für KOMOCO und für Sofia Nappi persönlich dann nur noch in eine Richtung: nach oben – mit Auszeichnungen in Hülle und Fülle und zahlreichen Einladungen von den wichtigsten Playern der zeitgenössischen Tanzszene. Davon zeugt auch das geballte Renommee der Koproduktionspartner, die Sofia Nappi und KOMOCO für ihr nächstes abendfüllendes Stück ins Boot holen konnten.

PUPO (italienisch für Puppe oder für Kind) ist inspiriert von einem vielschichtigen „Kinderbuch“-Klassiker, der vor 140 Jahren in Sofia Nappis Geburtsstadt Florenz erschien. Die Choreographin bezieht sich dabei nicht so sehr auf die Geschichte von Pinocchio, sondern auf die zentralen Themen von Carlo Collodis Roman: die Metamorphose und den Prozess des Erwachsenwerdens. Atmosphärisch umgesetzt im Stil der Commedia dell’arte und mit eindrucksvollen theatralischen Effekten, ist PUPO eine getanzte Portion Lebensmut: Wie alt du auch bist, bleib immer in Verbindung mit deinem inneren Kind!

Pinocchio lebt … Die nachhaltige Faszination, die der Klassiker aus dem 19. Jahrhundert auf Generationen junger und älterer Leser*innen ausübt, ist vielleicht nur noch vergleichbar mit Lewis Carrolls Alice im Wunderland. Beide handeln vom Erwachsenwerden in einer magischen und oft auch angsteinflößenden Welt – und beide sind viel komplexer und dunkler, als man es von einem Roman für Kinder gemeinhin erwartet. Sofia Nappi und KOMOCO interessieren sich für die Anderswelt ebenso wie für die Transformation von Puppe in Mensch. Das stark mit Lichteffekten arbeitende Setting und die Commedia dell’arte-inspirierten Kostüme erzeugen eine surreale, märchenhafte Atmosphäre. Statt die Geschichte nachzuerzählen, konzentriert sich die Choreographin jedoch vor allem auf die physischen wie psychischen Aspekte der Metamorphose. Die Tänzer*innen hängen wie an Fäden oder lösen sich davon, sie bewegen sich ungelenk wie Marionetten – und häufig auch wie Tiere. Noch entscheidender ist die geistige Dimension dieses Prozesses. Die Grenzen zwischen Gut und Böse, zwischen positiv und negativ sind fließend – wie schon bei Collodi angelegt. Denn die Menschwerdung der Puppe ist erkauft durch Zwang und den Verlust von Unschuld und Unbeschwertheit. Ihre Zurichtung erfolgt durch Sühne und Strafe. Nur so lernt die Puppe die „Moral“ der Gesellschaft – und wird gleichzeitig zu unserem Spiegel. Steht die mechanische Puppe am Anfang oder am Ende der Geschichte? Was gewinnen, was verlieren wir, wenn wir erwachsen werden? Müssen wir unser Selbst aufgeben, um zu überleben? Sofia Nappis Antwort darauf ist ein eindringlicher künstlerischer Appell. Ein Leben in Balance und Klarheit ist nur möglich, wenn wir das Kind in uns nicht vergessen. Die närrische Puppe Pinocchio hilft uns zu verstehen, wie unerbittlich die Gesellschaft unser Leben formt. Und sie schenkt uns eine selbstermächtigende Erkenntnis: Wir können wählen, wer wir sein wollen.

 

PUPO entstand in Zusammenarbeit von Burghof Lörrach (D), Danse Danse Montréal (CA), ecotopia dance productions (D), Escher Theater (L), KOMOCO / Sofia Nappi, MART Foundation (US), ROXY Ulm (D), Sosta Palmizi (I), Tanz Köln (D), Theater Winterthur (CH) und TOLLHAUS Karlsruhe (D).

tollhaus.de


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