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Menschlichkeit

Der Schweizer Regisseur Milo Rau stellt das Mitgefühl der zeitgenössischen Gesellschaft in Frage und trifft damit ins Herz der politischen Spannungen unserer Epoche. 

Mitgefühl ist ein elastisches Kozept. Man kann sich gleichzeitig für la Nuit debout (eine soziale Bewegung Frankreichs, die in nächtlichen Demonstrationen gegen Änderungen des Arbeitsrechts protestieren) begeistern und gleichzeitig Kleidung Made in Bangladesh kaufen, den Bewegungen „Plus jamais ça“ („nie wieder“, in Bezug auf den 2. Weltkrieg) und gleichzeitig „Not in my Backyard“ folgen. Diesen merkwürdigen Widerspruch hinterfragt der Schweizer Regisseur Milo Rau von einer verwirrenden Konstante ausgehend: Die Welt weint über den Tod des kleinen Aylan, während sie gleichzeitig völlig gleichgültig gegenüber dem Schicksal von Tausenden von Opfern des Bürgerkriegs im Kongo bleibt. Die Medien und ihre Bilder befüttern diesen Widerspruch noch, indem sie auf eine natürliche Neigung antworten, nach dem das Individuum Empathie erregt, während die Gruppe einen nicht berührt, oder im Gegenteil sogar erschreckt.
Genährt von den Aussagen der Mitglieder von Nichtregierungsorganisationen, Priestern und Opfern des Krieges in Afrika und in Europa, verankert sich Mitleid. Die Geschichte des Maschinengewehrs mit einer erneuerten Tradition des Dokumentartheaters (der sich auch sein Landsmann Stefan Kaegi und dessen Kollektiv Rimini Protokoll verschrieben haben) offensichtlich in der aktuellen „Flüchtlingskrise“. Milo Rau, Regisseur, aber auch Journalist und Aktivist, verfolgt darin sein Unternehmen der „politischen Psychoanalyse“ von Europa, angefangen mit The Civil Wars und The Dark Ages. Und er macht uns betroffen über die Tatsache, dass die europäische Zivilisation, die auf dem Humanismus aufgebaut ist, eine enorme existenzielle Krise durchläuft. (S.D.)

Foto © Daniel Seiffert


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