Das Projekt Kuss@Kokon bewegt sich zwischen den Welten. In der Performance am Dienstag, 9. April, 20 Uhr, reichen sich im Burghof Lörrach Kammermusik, Tanz, Poetry-Slam und mehr die Hand.
Jana Kuss und Oliver Wille gründeten im Alter von 14 Jahren das Kuss Quartett. „Getrieben hat uns vor allem Neugierde. Wir wollten Wege finden, das vermeintlich bürgerlich-spießige Streichquartett vom Sockel zu holen“, erinnert sich Wille. Damals – vor gut 20 Jahren – seien die klassischen Konzertprogramme in einem, wie es Wille nennt, „leicht verstaubten Sandwichformat“ dahergekommen: zuerst Klassik, dann ein bisschen Moderne und schließlich große Romantik. Das Kuss Quartett ging indes andere Wege und veranstaltete Abende, bei denen verschiedene Kunstformen sich auf Augenhöhe begegneten. Das Resultat waren abenteuerlustige Projekte: Konzeptprogramme ohne Gäste, die Zusammenarbeit mit der Compagnie „Nico and the Navigators“, literarische Abende mit Udo Samel, Quartett und Slam Poetry, Auftragswerke und vieles mehr. „Im Laufe der Jahre kristallisierten sich Lieblingsgäste heraus, die wir 2021 – also während des Lockdowns – zu einem Kollektiv zusammenbrachten. Das ist das Projekt Kuss@Kokon“, fasst Wille zusammen.
Und was genau passiert am 9. April auf der Burghof-Bühne? „Ich glaube, etwas wirklich verrückt Neues“, sagt der Violinist. Streichquartett, Tänzer, Percussion, Elektronik und Slam Poetry reichen sich die Hand, in allen denkbaren Kombinationen, durchbrochen, zusammengefügt, verkürzt, ergänzt und zum Teil überraschend gewendet. Die einzelnen Teile des Programms passen die Künstler:innen an die Gegebenheiten des Spielorts an, reagieren auf die Erfahrungen, die sie seit dem letzten gemeinsamen Abend gemacht haben und bringen so auch neue Ideen, neue Stücke, andere Gedichte, neue Zusammenstellungen ein. Die Kombination ist einmalig. Als Grundlage dienen Kurzmodule, die man – je nach Ort, Thema, Festival und Idee – unterschiedlich zusammensetzen kann. „Das heißt, es gibt fertige Teile, die inszeniert und erprobt sind, die aber gleichzeitig in unterschiedlichen Räumen oder hintereinander in einem Raum, digital oder live, in anderer Dramaturgie oder Reihenfolge passieren können“, beschreibt Wille.
Bei der Ausarbeitung inspirieren sich die Künstler:innen stark gegenseitig. Ganz konkret sieht das zum Beispiel folgendermaßen aus: Schlagzeuger Johannes Fischer spielt ein Solo-Werk, dazu fällt dem Slam-Poeten eine Textzeile ein. Das inspiriert die Tänzer, sich dazu zu bewegen. Oder das Kuss Quartett spielt einen Auszug eines Quartettsatzes. Plötzlich wird in stillen Momenten ein Synthesizer eingesetzt oder ein Text geflüstert. „So probiert man sich durch, bis eine Variante richtig erscheint“, erklärt Wille. Das heißt aber nicht, dass es alles „passen“ muss, betont er. „Gerade Irritationen können eine unheimliche künstlerische Kraft entfalten.“ Denn ein gutes Programm braucht unbedingt Brüche, sagt Wille. „Es gibt nichts Langweiligeres als vorhersehbare Abläufe.“ Gerade im Bereich der klassischen Musik sei es wichtig, immer wieder die Frage nach dem aktuellen Bezug zu stellen. Dabei dürfe es auch vorkommen, dass man Stücke manipuliert, um herauszufinden, dass man sie lieber ungestört hören sollte. Wichtig ist den Künstler:innen, die Hörerwartung zu hinterfragen. Welche Sehnsüchte löst etwa ein plötzliches Abbrechen der Musik aus? Bleiben die Zuhörer:innen unberührt? Sind sie genervt? Oder kommen vielleicht andere Emotionen zum Vorschein? „All das auszuloten, zu hinterfragen und in eine aktuelle Form zu bringen: Das ist unser Abenteuer und unsere kreative Energie dieser Momente, die wir gern (mit)teilen möchten, um etwas Faszinierendes, auch Unerklärliches zu erleben.“