Vom 20.-23. November 2024, feierten insgesamt rund 700 Zuschauer*innen gemeinsam beim Festival Primeurs mit dem Saarländischen Staatstheater, Le Carreau – Scène nationale de Forbach et de l`Est Mosellan, SR kultur und dem Institut d‘Études Françaises die frankophone Gegenwartsdramatik und ihre deutschen Übersetzer*innen! Krönender Abschluss war auch in diesem Jahr die Vergabe der PRIX PRIMEURS!
Nach vier Tagen Festival mit einem Gastspiel, einem Live-Hörspiel, vier szenischen Lesungen, sechs Publikumsgesprächen, einer Diskussionsrunde mit Autor*innen, Übersetzer*innen und Publikum, einem Schreibworkshop – kurz: vielen Stunden deutsch-französischen Kulturaustausches an vier verschiedenen Orten in Saarbrücken und Forbach – zieht Bettina Schuster-Gäb, Dramaturgin und Festivalverantwortliche am Saarländischen Staatstheater eine durchweg positive Bilanz: »Wir konnten bei diesem Festival Primeurs wieder die aufbauende und einende Kraft des Theaters erleben, das durch seine Geschichten über Sprach- und Landesgrenzen hinweg zum Nachdenken anregen, Menschen ins Gespräch miteinander bringen und empowern kann. Besonders glücklich sind wir, dass in diesem Jahr mit nur einer Ausnahme alle Autor*innen und Übersetzer*innen vor Ort waren und sich regen Debatten um ihre Stücke stellten. Da durften wir eine gelungene Gesprächskultur erleben! Dafür danke ich allen Beteiligten und natürlich ganz besonders den Primeurs-Partnern. Jetzt freue ich mich auf das kommende PUR!-Jahr, auf eine Schauspiel-Produktion im Spielplan des SST, Hörspielerlebnisse in der ARD-Audiothek und Schwerpunktsetzungen im Rahmenprogramm: eine ganze Spielzeit lang!«
Seit 2008 stiften der Saarländische Rundfunk und das Saarländische Staatstheater mit der Unterstützung der Freunde des Saarländischen Staatstheaters einen Autor*innenpreis in Höhe von 3.000 Euro. 2017 kam ein Übersetzer*innenpreis in Höhe von 1.000 Euro dazu. Beide Preise werden durch eine Fachjury vergeben, diesmal bestehend aus Delphine Edy (Theaterwissenschaftlerin und Übersetzerin), Claude Mangen (übersetzender Regisseur und Intendant des Mierscher Theaters, Luxemburg), Mikaël Serre (übersetzender Regisseur und Dramaturg).
Den Autor*innenpreis sprach die Jury Gwendoline Soublin für ihr Stück »Spezimen (Spécimen)« zu, in dem die französische Autorin eine gedemütigte Fischverkäuferin zu ihren Urinstinkten zurückfinden lässt. Aus der Begründung der Jury: »Ausgehend vom zermürbenden Alltag einer sechsundvierzigjährigen Frau, die in der Abteilung Fisch & Krustentiere des Supermarktes SuperGéant verkauft, befreit Gwendoline Soublin die räumliche und zeitliche Realität genauso aus ihren Zwängen wie unser entmenschlichtes Leben und das dramatische Schreiben – um uns eine Fabel zwischen ökologischem Epos und dramatischem Gedicht in der Gegenwart zu präsentieren.« Besonders betont die Jury »die Rolle der Sprache, die in der Lage ist, sowohl das zu sagen, was existiert, als auch das, was nicht existiert, und so eine Form des Widerstands gegen eine Gesellschaft zu leisten, die zum System und zur Maschine geworden ist, um den Menschen und seine Träume zu zerschlagen.«
Den Preis für die gelungenste Übersetzung teilen sich Pauline Fois und Sula Textor, die im deutsch-französischen Tandem das Stück »Gloria Gloria« des jungen Autors Marcos Caramés-Blanco übertragen haben. Caramés-Blancos Road-Drama, das von der persönlichen Revolte einer nicht mehr jungen Frau im ländlichen Frankreich unserer Gegenwart erzählt, sei, so die Jury, für Übersetzende eine besondere Herausforderung, denn die »Schreibweise ist besonders lebhaft und rhythmisch, mit abwechselnden Voll- und Leerstellen, verschiedenen Registern und Formen, um die kochende Innerlichkeit der Protagonistin wiederzugeben«. Umso mehr würdigt die Jury, dass es Fois und Textor »perfekt gelingt, den Realismus der Figuren, aber auch ihre dunklen Seiten und ihre Komplexität wiederzugeben. […] Schließlich, und vielleicht am wichtigsten, ermöglicht es diese Übersetzung, die Herausforderung zukünftiger Inszenierungen anzunehmen, indem sie den Schauspieler*innen eine prägnante, musikalische Sprache […] bietet.«
Und auch das Publikum hat wieder seinen bzw. seine Favoriten gewählt. Zum ersten Mal in der Geschichte des Festivals teilen sich zwei Autoren den Publikumspreis: David Paquet mit »Sternschnupfen (L’éveil du printemps)«, seiner rasanten und tiefkomischen Neuinterpretation des deutschen Klassikers »Frühlings Erwachen« von Frank Wedekind. Im Rahmen des Festivals wurde die eigens in Auftrag gegebene – und vom Centre des auteurs dramatiques (CEAD) und der Vertretung der Regierung von Québec geförderte – Übersetzung von Frank Weigand als SR kultur Live-Hörspiel präsentiert (Regie: Anouschka Trocker). Der Mitschnitt des SR-Live-Hörspiels ist ab sofort in der ARD Audiothek nachhörbar. Die Studioversion (Koproduzent: rbb) wird im Frühjahr 2025 ausgestrahlt. Der zweite PreisträgerIan De Toffoli wurde für sein Stück »Léa oder Eine Theorie der komplexen Systeme (Léa ou la théorie des systèmes complexes)« geehrt, ein Epos, in dem sich die Schicksale der Öl-Magnaten von Koch Industries und der jungen luxemburgischen Journalistin Léa auf fatale Weise miteinander verbinden. In der Alten Feuerwache war das Stück in einer szenischen Einrichtung von Fred Kakuschke zu sehen.