Schräg und makaber
Das Londoner Trio The Tiger Lillies steht in der Tradition der 30er Jahre. Seine Interpretation von Frank Wedekinds Figur der Lulu ist ebenso schräg wie faszinierend: eine expressionistische und extravagante Kabarett-Show.
Sie ist eine Femme fatale, eine leidenschaftliche und selbstzerstörerische Frau, die jeden Mann zu Fall bringen kann. Lulu bekämpft die Gesellschaft und zugleich sich selbst: diese vielschichtige und faszinierende Persönlichkeit hat die Opera North Projects Marty Jacques anvertraut, dem führenden Kopf des Trios The Tiger Lillies, das in Großbritannien für seine Expressivität geschätzt und verehrt wird. Es wird sogar gemunkelt, dass Marilyn Manson, Matt Groening – der Erfinder der Simpsons – und der charismatische Produzent und Schauspieler Mel Brooks große Fans dieser Formation sind.
Martyn Jacques hat sich also diese Figur vorgeknöpft, die für seinen kreativen Wahn wie geschaffen zu sein scheint. „Ich glaube, dass ich Lulu schon immer gekannt habe“, sagt er. „Aber ich habe sie fast schon gemieden, aus Angst, dass sie zu viel in mir auslöst.“ Nun ist das Übel geschehen: Lulu, Symbolfigur europäischer Raffinesse, gerät nach und nach in den Strudel der bürgerlichen Scheinmoral – ein Thema, das dem Trio am Herzen liegt, das in seiner Show Lulu – A Murder Ballad brillant ihre Höllenfahrt beschreibt. Lulu, unbequem und faszinierend zugleich, ist ganz vom Kabarett-Kosmos des Trios durchdrungen, das sich ihrer zerrissenen Persönlichkeit bemächtigt und sie dem Publikum auf außergewöhnliche Weise „darbietet“. Die Tänzerin Laura Caldow, ausgebildet an der Central School of Ballet und am Merce Cunningham Studio, spielt die Lulu, begleitet durch ein seltsames Instrumentarium bestehend aus Singender Säge, Theremin, Akkordeon und Perkussionsinstrumenten. Vielleicht wird diese Show Sie aufwühlen, amüsieren oder verstören, aber eines ist sicher: kalt lassen wird sie Sie nicht. (C.B.)
Foto © Tom Arber
Weitere Informationen
- Rezension der Show durch The Independent (EN)
- Martyn Jacques spricht über seine Begegnung mit Lulu im Guardian (EN)
