Auch diesmal landet Milo Rau einen buchstäblich gewaltigen Theater-Coup: Mit Antigone in the Amazon hat der Schweizer Regisseur einen Abend zwischen Reisebericht, Lehrstück und aktivistischem Reenactment kreiert. Gemeinsam mit Indigenen, Landlosen-Aktivist*innen und Akteur*innen des NT Gent entwickelte er eine politische Antigone für das 21. Jahrhundert.
«Vieles ist ungeheuerlich, doch nichts so ungeheuerlich wie der Mensch» heisst es in Antigone von Sophokles.
In Antigone in the Amazon begehrt eine indigene Antigone in einem dramatischen Abend gegen Kreons staatlich organisierte Tyrannei auf – ein Protest gegen die Macht des neokolonialen Kapitals: In Brasilien, wo vor 500 Jahren mit der Kolonialisierung die grosse Katastrophe begann und wo etwa 10 Prozent der Bevölkerung 80 Prozent des Bodens besitzen, setzt sich die Landlosenbewegung (MST) für eine radikale Landreform ein. Auf der mit staubiger Erde bedeckten Bühne bleibt daher wenig an zurückhaltenden Schauspiel übrig. Von der Leinwand agieren die Aktivist*innen der Landlosen als Chor und kommentieren das Bühnengeschehen zwischen Kreon, Antigone, ihrem Verlobten Haimon und dessen Mutter Eurydike: Gewalt, Mord, Selbstmord und ein Reenactment des erschütternden Massakers von 1996 werden – wie im antiken Theater – Teil einer Traumabewältigung.
Als Antigone agiert auf der Leinwand Kay Sarah, indigene Schauspielerin, die schon während der Pandemie mit einer flammenden Eröffnungsrede der Wiener Festwochen gegen Bolsonaros Amazonas-Abholzung und das Schweigen Europas aufbegehrte. Die Musik des Abends kommt u.a. vom Basler Musiker Elia Rediger, bekannt aus seiner Arbeit mit der Group 50:50 und The Bianca Story, dessen neues Projekt im Oktober in der Kaserne Premiere haben wird. Als Teiresias erscheint Ailton Krenak: Schriftsteller, Philosoph und indigener Aktivist des Volkes Krenak: Für alle die sich mehr für seine radikalen Perspektiven interessieren, empfehlen wir sein Buch Ideen, um das Ende der Welt zu vertagen.
«Rau has perfected the art of bringing real events onstage, by laying bare the process and inviting audience members to think along.» (New York Times)
«Grosser Applaus im Burgtheater für eine grosse Arbeit, mit der Milo Rau nicht nur gezeigt hat, dass er Theater kann, sondern auch seinen gesellschaftlichen aktivistischen Anspruch im Theater nochmal klar gemacht hat.» (Dagmar Walser, SRF)
«Kein einziges Video, das nicht ins Schwarze trifft. Kein einziges Wort, das die Bilder nicht unterstreicht. Nicht eine Bewegung auf der Bühne, die nicht mit den Bildern übereinstimmt. Es setzt sich die Erkenntnis durch, dass das Theater, wenn es sich so weit aus seiner Komfortzone herausbewegt, etwas erleben und verstehen lässt, das so viel grösser ist als es selbst, und das wir sind.» (Le Monde)
Dauer: ca. 100 Minuten
Programmheft (Englisch)
































