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Hommage – Reid Anderson spricht über den legendären Choreographen John Cranko

Am 15. August 2017 wäre der renommierte Choreograph John Cranko 90 Jahre alt geworden. Seine Choreographien wie Onegin oder Der Widerspenstigen Zähmung sind bis heute noch legendär und stoßen weltweit auf begeisterten Anklang.

Das Stuttgarter Ballett veranstaltet nun ihm zu Ehren eine wahrhaftige Hommage und lässt dabei den Geist dieses Talents über die Bühne brillieren.

Szenikmag sprach vorab mit Ballettintendant Reid Anderson über John Cranko, seine Werke und seine außerordentlich wichtige Rolle in der Geschichte des Stuttgarter Ballett. Inspirierend!

 

Wann hörten Sie zum ersten Mal den Namen „John Cranko“?

1967. Ich war 17 Jahre alt und war dabei meine Koffer zu packen, um meine kanadische Heimat zu verlassen und an der Royal Ballet School in London zu studieren. Das National Ballett von Kanada kam im Fernsehen; sie haben Crankos Romeo und Julia getanzt.

 

Was macht seine Arbeit für Sie so besonders?

Crankos Stücke sind so klar erzählt und die Rollen so menschlich nachvollziehbar gestaltet, dass man auf Anhieb alles versteht auch ohne ein Programmheft zu lesen. Zudem sind sie äußerst theatralisch, hoch musikalisch und treffen immer Mitten ins Herz.

 

Wann haben Sie zum ersten Mal in einer Choreographie John Crankos getanzt und um welche handelte es sich?

April 1969 – die Uraufführung von Der Widerspenstigen Zähmung. Ich habe die Entstehung dieses inzwischen weltberühmten Balletts hautnah miterlebt – es war fantastisch.

 

Sie haben ein paar Jahre mit ihm zusammenarbeiten können: Wie war er auf und hinter der Bühne?

Er war nicht oft auf der Bühne! Hinter der Bühne war er ein aufrechter, mitfühlender, hilfsbereiter und liebenswürdiger Mensch der sich sehr für seine Mitmenschen interessierte.

 

Gibt es eine Anekdote, die Ihnen im Gedächtnis geblieben ist?

Cranko musste bei der Arbeit im Ballettsaal – also beim choreographieren – rauchen. Das Rauchen war aber nicht erlaubt und es wurde sehr oft kontrolliert. Also mussten immer zwei Elevinnen Ausschau halten und sobald die Feuerwehr im Anmarsch war, haben wir alle Fenster aufgeschmissen, den großen Kanister den Cranko als Aschenbecher verwendete hinterm Klavier versteckt und fingen alle wild zu tanzen an, damit die Feuerwehrmänner total abgelenkt waren. Sobald sie weg waren, zündete er wieder eine Zigarette an und arbeitete weiter.

 John Cranko (credits Gundel Kilian)

Gibt es eine Choreografie von ihm, die Sie besonders mögen? Und wenn ja, warum berührt Sie diese?

Onegin! Es ist ein Gesamtkunstwerk, das man nie vergisst wenn man es einmal gesehen hat. Da stimmt einfach alles. Es ist einer der dramatischsten Ballette die ich je gesehen habe und es lässt niemanden unberührt.

 

Wenn man „John Cranko“ bei Google eingibt, erscheint schnell der Begriff „Stuttgarter Ballettwunder“. Würden Sie dem zustimmen? Hat er mit dem Ensemble ein Wunder vollbracht?

Auf jeden Fall! Er hat in nur zwölf Jahren aus einer provinziellen, unbekannte Truppe ein international anerkanntes Ensemble gemacht, das weltweit gastierte und Erfolge feierte. Am wichtigsten aber ist das alles, was er geschaffen hatte, von Dauer war. Das Stuttgarter Ballet tanzt 44 Jahre nach seinem Tod immer noch an der Weltspitze.

 

Sie haben die Arbeit John Crankos tief im Repertoire des Stuttgarter Ballett verankert und verbreiten sie auch im Ausland. Warum ist Ihnen dies so wichtig?

Weil wir ohne unsere Vergangenheit keine Gegenwart und vor allem keine Zukunft haben. Cranko ist unser Fundament und seine Stücke sind immer noch sehr begehrt – in Stuttgart und im Ausland. Außerdem war es Cranko sehr wichtig, dass unsere Kunstform sich immer weiterentwickelt – er stand Neuem sehr offen gegenüber. Auch diesen Leitsatz tragen wir mit in unsere Gegenwart und Zukunft.

 

Die John Cranko-Schule ist an das Stuttgarter Ballett angegliedert. Zudem finden sich immer wieder zahlreiche, junge Choreographen im Programm. Was bedeutet Ihnen die Arbeit mit jungen Menschen, Tanzenthusiasten und Nachwuchskünstlern?

Alles, denn dabei geht es um unsere Zukunft: Die jungen Choreographen, die unsere Kunstform weiter entwickeln, die jungen Tänzer die diese Ideen auf der Bühne umsetzen, aber vor allem: das junge oder auch neue Publikum, dass das alles genießen wird!

 

Findet sich manchmal unter ihnen ein Talent wie John Cranko?

John Cranko wurde einmal gefragt ob Jiri Kylian – damals ein junger Nachwuchschoreograph – „der neue Cranko“ sein wird. Daraufhin hat er gesagt: „Ich hoffe nicht! Ich hoffe er wird der neue Kylian!“ Was er damit meinte ist, dass jeder Choreograph (und Mensch!) ein Unikat ist. Jedes Talent ist anders – und das ist auch gut so. Ich habe viele großartige Choreographen erlebt – keiner war wie der andere. Aber alle waren überzeugend!

 

Wie würden Sie das heutige Stuttgarter Ballett beschreiben? Ist es immer noch ein Wunder?

Ja! Wir tanzen immer vor ausverkauften Häusern – in Stuttgart und wenn wir auf Gastspiel gehen. Die Magie ist offensichtlich immer noch da!

 

Worin liegen die Herausforderungen in der Leitung eines Ballettensembles?

Man muss gut zuhören können, damit man die Menschen mit denen man arbeitet, versteht. Man muss klare Ansagen machen können, damit die Menschen verstehen was sie zu tun haben und was von ihnen erwartet wird. Man muss Ziele setzen, gut organisiert sein und für alle da sein. Am wichtigsten ist aber, dass man nicht sich selbst, sondern die Kompanie in den Vordergrund stellt.

 

Was wünschen Sie sich für Ihr Ballettensemble?

Langlebigkeit!

 

Letzte Frage: Wie wollen Sie in dieser Saison den 90. Geburtstag John Crankos ehren?

Wir werden sieben seiner Stücke hier in Stuttgart tanzen, um die Bandbreite seines Schaffens hervorzuheben und zwei weitere auf Gastspiel in Asien.

 

Vielen, vielen Dank und alles erdenklich Beste für diese Saison!

 

Die Fragen stellte Jenny.

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Informationen zu den Ballettabenden Cranko pur finden Sie hier

und auf der Seite des Stuttgarter Balletts

 

© Roman Novitzky

 

 

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