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Von der Bedeutung der großen Abenteurer

Der Schweizer Regisseur Thom Luz ist uns schon 2014 beim Festival Premières aufgefallen. Mit seinem geisterhaften When I Die ließ er eine außergewöhnliche Musikerin, die sich als Medium betätigte, wieder auferstehen. Sein aktuelles Stück Unusual Weather Phenomena Project, eine musikalische Utopie rund um das „Handbuch über seltene Wetterphänomene“ von William R. Corliss spiegelt den Zeitgeist des 19. Jahrhunderts wider.

Von Marie Bohner
In Zusammenarbeit mit dem Magazin Zut!

Thom Luz ist Theaterregisseur, Performance-Künstler und Musiker und hat ein ausgeprägtes Faible für die Abenteurer der Neuzeit: diejenigen, die der Ansicht sind, dass die wissenschaftliche Analyse seltsamer Phänomene hilft, die Wirklichkeit besser zu verstehen, und die sich nicht scheuen, naturwissenschaftliche Methoden anzuwenden und gleichzeitig für alle Möglichkeiten aufgeschlossen zu sein. Es ist nicht erstaunlich, dass sein Werk sehr stark von der Musik, dieser so präzisen und doch so vergänglichen und magischen Kunst, geprägt ist. Wir treffen einen enthusiastischen und im positiven Sinne getriebenen Mann.

Die Musik spielt eine entscheidende Rolle in Ihren Theaterstücken. Was bewirkt sie?
Es gibt zwei grundlegende Aspekte in meinen Stücken: die Musikalität des Ensembles und die Detailgenauigkeit. Oft dient die Musik im Theater dazu, eine Atmosphäre zu schaffen, ein tröstliches Geräusch zu erzeugen, um die Stille zu durchbrechen. Für mich ist die Musik das Herzstück meines Projekts. Die musikalische Struktur ist wichtiger als die Sprache oder eine klassische Erzählstruktur. Könnte man sagen, die Musik ist die Sprache? Ja! Und das schließt sowohl die Stille als auch das gesprochene Wort oder Klänge mit ein. Ich versuche, die Musik zur wichtigsten Sprache zu machen. Hey, das klingt gut! [Lachen]

 

Unusual Weather Phenomena Project – Foto Tabea Hüberli

 

Wie ist Unusual Weather Phenomena Project zustande gekommen?
Wie auch bei meinen anderen Stücken, musste ich darauf warten, dass die Geschichte ihren Weg zu mir fand. Bei diesem Theaterstück war es so, dass ich auf dem Flohmarkt ein altes Buch mit dem Titel Handbook of Unusual Weather Phenomena entdeckt hatte. Ich war sofort fasziniert: Das Unerklärliche, das Ungewöhnliche, diese Dinge, die man schwer mit Worten beschreiben kann, sind starke Elemente für mich. Meine Neugier war geweckt, und ich fing an zu lesen: Es handelte sich um eine Art Lexikon, eine Enzyklopädie unerklärlicher meteorologischer Wunder. Manche davon erschienen mir so eigenartig, dass ich trotz des wissenschaftlichen Ansatzes des Buches daran zweifelte, dass sie wahr sind. Ich liebe diese Mischung von Genres, da dies auch sehr meiner Arbeitsweise ähnelt: präzise Dinge schaffen mit einer Materie, die das nicht ist. Dieser amerikanische Wissenschaftler der 70er Jahre hat zahlreiche Bücher über unerklärliche Phänomene in verschiedenen Gebieten veröffentlicht: Astrologie, Geologie, das Gehirn… Er hat in gewisser Weise begonnen, eine Bibliothek der unerklärlichen Phänomene aufzubauen. Das bewegt mich sehr. Natürlich verstand er es als wissenschaftliches Projekt, nicht als poetisches, aber ich bin ebenso wie er der Ansicht, dass man die Welt besser versteht, wenn man das Seltsame in ihr beobachtet. Auch der Mensch, der dieses Buch geschrieben hat, hat mich angesprochen.

Würden Sie Ihre Arbeit als „melancholisch“ bezeichnen?
[Lachen] Ich versuche, Komödien auf die Bühne zu bringen. Mein Ziel ist es nicht, die Dinge traurig oder melancholisch zu machen. Was ich tue, ist sehr witzig! [Lachen]

Wenn die Leute von „Melancholie“ sprechen, meinen sie vielleicht eine Art Nostalgie in Bezug auf die wissenschaftlichen Forscher des 19. Jahrhunderts, die sehr ernsthafte Untersuchungen über das Übernatürliche angestellt hatten?
Ja, das ist sehr gut möglich. Vielleicht bin ich dann auch ein wenig „nostalgisch“: Ich bin es in Bezug auf das 19. Jahrhundert, auf die Welt von gestern. Aber ich versuche, nicht allzu sehr von Zeiten zu träumen, die nicht wiederkehren werden. Ich interessiere mich für die unsichtbaren Welten, für die zweite, dritte, vierte Dimension. Ich glaube, die unsichtbaren Welten sind die, die man entdecken kann, wenn man genauer hinsieht oder besser gesagt hinhört. Vielleicht ist es das, was meine Stücke ein wenig minimalistisch, geräuscharm macht, und die Leute nennen es melancholisch, weil sie wohl kein besseres Wort dafür finden. Aber es ist nicht melancholisch, sondern nur ziemlich leise und nicht besonders schnell.

 

When I Die – Foto Edgar Knaak

 

Ihre Arbeit wurde auch als „optimistisch“ bezeichnet, erkennen Sie sich darin wieder?
Man kann das Theater in zwei Kategorien unterteilen: die Stücke, die Probleme aufzeigen und die, die Lösungen vorschlagen. Die Lösung kann versteckt sein oder utopisch, und doch bleibt sie eine Lösung, ein Ausweg. Ich versuche immer, Auswege zu finden! [Lachen] Das ist gar nicht so leicht. Ich würde eigentlich nicht sagen, dass ich ein optimistischer Mensch bin. Ich bin nie zufrieden, meine Fehler springen mir förmlich ins Auge. In meiner künstlerischen Arbeit versuche ich jedoch, eine Quelle der Inspiration, der Schönheit zu bieten und eine optimistische Sichtweise auch auf die komplexesten Probleme zu bewahren. Ich mag diesen Widerspruch. Wir leben in beängstigenden Zeiten und man könnte leicht daran verzweifeln. Ich versuche, andere Blickwinkel vorzuschlagen: nicht, um die Probleme zu leugnen, aber um daran zu erinnern, dass Kunst meiner Meinung nach auch Trost spenden soll. Irgendwer hat einmal gesagt, es sei „die Aufgabe der Kunst, die Verstörten zu trösten und Bequemen zu verstören“. Genauso ist es und das versuche ich zu erreichen.

Unusual Weather Phenomena Project von Thom Luz
03.06.16 -> 06.06.16 Kaserne | Basel
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