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Eine neue Adaption der Erzählung „Lenz“ von Georg Büchner im Theater Eurodistrict Baden-Alsace

Im Rahmen des Kinder-und Jugendtheaterfestivals „Allez Hop! 2022“ haben wir Edzard Schoppmann, den Künstlerischen Leiter des Theaters Eurodistrict Baden Alsace und Regisseur des Stückes „Büchners Lenz“, getroffen.

Ihr Stück ist eine Adaption der berühmten Erzählung „Lenz“ von Georg Büchner. Könnten Sie uns kurz daran erinnern, worum es darin geht?

Die Geschichte von Lenz beruht auf einer wahren Begebenheit, die sich Ende des 18. Jahrhunderts abspielte: Waldersbach ist eine Gemeinde (in dem sich auch das Oberlin Museum befindet), in welcher der Pfarrer Johann Friedrich Oberlin lebte. Dieser war ein sehr angesehener Pädagoge: Er hat zum Beispiel „Strickschulen“ gegründet und vieles für die Kinder im Dorf getan (wie die Entwicklung eines Kindergartens). Er war ein sehr aufgeklärter, den Menschen zugewandter Pfarrer.

Lenz kam auf die Empfehlung eines Freundes nach Waldersbach. Er selbst war Schriftsteller, ein Zeitgenosse von Johann Wolfgang von Goethe und hat viele Theaterstücke geschrieben. Allerdings litt er unter einer bipolaren Störung und einer Art Schizophrenie mit zusätzlichen Anzeichen einer Depression; er erhoffte sich Heilung vom Pfarrer Oberlin. So zog Lenz also im Winter von Straßburg über die Berge und das bei Wind und Wetter. Am 20. Januar kam er in Waldersbach an.

Büchners Erzählung handelt von der Begegnung zwischen dem Pfarrer Oberlin und Lenz, dessen Versuch dem Schriftsteller helfen zu wollen und seinem Scheitern. Schließlich verstrickt sich Oberlin immer mehr in die Psychose von Lenz und ist ihr hilflos ausgesetzt. Natürlich nimmt er Anteil an Lenz‘ Schicksal, gleichzeitig ist er aber fasziniert von diesem intellektuellen und leidenschaftlich engagierten Menschen. Deshalb hat er ihn nach drei Wochen nach Straßburg zurückgeschickt, weil er völlig überfordert war.

Es ist eine sehr spannende Geschichte! Sie erzählt von seelischen Abgründen und gleichzeitig von Leidenschaft. Es ist auch sehr schön, wie die Landschaften dort beschrieben werden: Es ist eine fantastische Welt, die in diesem Roman beschrieben wird!

Es war für mich eine Herausforderung, diese Themen mit einer Inszenierung zu verbinden und die Handlung Szene für Szene umzusetzen. Auf der Bühne vereinen sich Chormusik, epische Szenen und Dialoge. Hinzu kommen die innere Stimme und die Halluzinationen von Lenz, die wir von TänzerInnen darstellen lassen. Wir möchten das innere Gefängnis darstellen, in dem sich Lenz befindet. 

Aus der Beschreibung des Stücks geht hervor, dass Sie auf der Bühne mehrere künstlerische Ausdrucksformen einsetzen (Film, Musik, Tanz, Interviews). Was kann das Publikum erwarten?

Mit dieser Inszenierung versuche ich so eine Art Gesamtkunstwerk zu schaffen; das ist immer wieder mein Ziel. Wir projizieren zum Beispiel einen Film, den wir mit Tilmann Krieg, einem bildenden Künstler aus Kehl, realisiert haben. Wir haben ihn vor Ort, in Waldersbach, gedreht, und dann erneut bearbeitet. Dadurch wird diese irreale Atmosphäre durch das Video verstärkt. Um diese psychische Welt darzustellen, mischen wir Performance, Tanz und Schauspiel. Hinzu kommen Choralwerke und Live-Musik: Wir haben zum Beispiel einen Song von Rammstein, der diese psychischen Welten gut wiedergeben kann.

Wir versuchen ein dramaturgisches Gesamtprojekt zu schaffen, das die ZuschauerInnen buchstäblich hineinzieht: Sie sollen selbst in diesen Albtraum geraten, um sich vorzustellen, was diese Krankheit von Lenz und diese beschriebene Leidenschaft genau bedeuten.

Das Stück Büchners Lenz richtet sich hier vor allem an ein jugendliches Publikum. Haben Sie in der Dramaturgie Anpassungen vorgenommen, um ein jüngeres Publikum ansprechen zu können?

Das Stück ist zugleich für Erwachsene und für ein jugendliches Publikum gedacht. „Lenz“ ist in Deutschland ein Lesekanon. Es wird vom Kulturministerium empfohlen und in der Schule gelesen. Da ich aber nicht nur einen Klassiker auf die Bühne bringen wollte, habe ich mich für eine sehr moderne Adaptation entschieden. Zum Beispiel gibt es im Stück ein Video, indem wir Lenz im heutigen Straßburg sehen. Ich versuche immer eine Verbindung zur heutigen Zeit herzustellen.

Für die Inszenierung habe ich Anpassungen vorgenommen. Der Text ist ein wenig gekürzt und von den Figuren abgelöst. Ich habe versucht, die Erzählung in Dialoge umzusetzen, um klare Situationen zu schaffen. Die Inszenierung ist also keine simple Umsetzung des Buches, da auch teilweise Elsässisch gesprochen wird.

Das Stück ist eine deutsch-elsässische Fassung der Lenz-Geschichte. Können Sie uns etwas über die „sprachliche Zugänglichkeit“ dieses Stücks erzählen? Wie und warum haben Sie sich entschieden auf Elsässisch zu arbeiten? 

Oberlin verließ die Straßburger Oberschicht für das kleine Dorf Waldersbach: Zwei verschiedene Welten sind da aufeinander getroffen. Das wollte ich ebenfalls erzählen. Deswegen ist das Stück auf Deutsch und auf Elsässisch. Ursprünglich wollten wir auch auf Französisch arbeiten, aber es war zu schwierig, drei Sprachen in die Dramaturgie einzubauen. Deswegen haben wir uns entschieden, dass Oberlin und seine Frau eine Art Hochdeutsch sprechen. Die Texte von den Dorfbewohnern sind wiederum auf Elsässisch. Ich wollte diese zwei Schichten gegenüberstellen. Ich finde das aus literarischer und dramatischer Sicht interessant: Ich möchte eine Art Volkstheater machen. Das interessiert mich sehr.  

Die elsässischen Texte wurden von Pierre Kretz übersetzt. Er hat bereits Theaterstücke auf Elsässisch verfasst und für unser Stück eine Übersetzung und eine Adaptation des Romans erarbeitet. Es war knifflig, den Rhythmus des Textes umzusetzen. Ketz hat dies aber meisterhaft geschafft!

Sind Sie mit Ihrem Ensemble zur Recherche in die Region Waldersbach gefahren?

Im Oktober waren wir eine Woche lang in Waldersbach. Dort haben wir uns auch Gedanken zum Bühnenbild gemacht: Die Steine, die bei uns auf der Bühne liegen, haben wir vor Ort gesammelt. In der Umgebung lassen sich viele, unterschiedlich geformte Steine finden; es hat Spaß gemacht, damit zu arbeiten. Wir haben uns auch die Zeit genommen, das Dorf zu besuchen und waren viel in dem Oberlin Museum. Zum „Ursprung“ der Geschichte zurückzukehren, war ein schöner Beginn für unsere Arbeit: Es hat unseren Horizont erweitert. Wir haben diese besondere Atmosphäre gespürt. Im Winter liegt Nebel in der Luft, dadurch entsteht eine fast schon mysteriöse und einsame Stimmung. Der Bürgermeister ist mit uns durch die Landschaft gewandert und wir haben uns ein Bild davon gemacht, was es heißt, nicht den genauen Weg zu kennen. Dieser Residenzaufhalt hat auf jeden Fall unser Textverständnis erweitert und vertieft.

Die Geschichte von Lenz spielt im 18. Jahrhundert. Das Stück wirft also einen Blick in die Vergangenheit. Wie gelingt es Ihnen die Moderne mit der Vergangenheit zu verknüpfen?

Ersteinmal funktionieren diese Zeitunterschiede zwischen Vergangenheit und Gegenwart durch die Musik. Man fühlt es durch die Musik, die sehr viel vorkommt. Die Musik ist von Ork, einer Elektro-Pop-Gruppe aus Straßburg, komponiert wurden. Dadurch möchten wir die Modernität dieses Stoffes hervorheben.

Zu Anfang berichtet ein Chor über unsere heutige Zeit. Daraufhin taucht man peu à peu in die Vergangenheit ein; bis wir uns im 18. Jahrhundert befinden. Am Ende erblicken wir Lenz, der sich im heutigen Straßburg befindet und eine Maske trägt. Wir haben auch Interviews mit Psychiatern in das Stück integriert und zeigen im Foyer eine Ausstellung, die ergänzendes Material liefert.

Das Stück „Lenz“ wird im Rahmen des grenzüberschreitenden Kinder- und Jugendtheaterfestivals „Allez Hop“ zum ersten Mal aufgeführt. Können Sie uns mehr über dieses Festival erzählen?

„Allez Hop“ ist unsere Kinder-und Jugendtheaterfestival. Ziel ist es, eine Begegnungsmöglichkeit zwischen deutschen und französischen Kindern im Theater zu ermöglichen. Im Allgemeinen liegt der Schwerpunkt auf Kindertheater, weshalb Büchners Lenz eine ungewöhnliche Wahl ist.

Alle Stücke sind übertitelt. Vor der Corona-Pandemie kamen wir auf etwa 8.000 ZuschauerInnen. Das Festival läuft in der Regel sehr gut und wird auch von französischen Schulen gut angenommen. Wir zeigen hauptsächlich unseren eigenen Inszenierungen, aber laden auch ein paar Gäste aus Deutschland und Frankreich ein.

Durch unseren Sitz im europäischen Forum am Rhein und der Nähe zur Grenze können viele Familien aus Deutschland und Frankreich am Wochenende zu uns ins Theater kommen. Interessanterweise nehmen französische Schulen unser Angebot öfter wahr als deutsche! Es liegt wahrscheinlich an dem Interesse an der Zweisprachigkeit, die in Frankreich größer zu sein scheint als in Deutschland (sowohl im politischen als auch im Schulbereich).

Am 30. Januar 2022 um 18 Uhr im Theater Eurodistrict Baden Alsace

Am 13. Februar 2022 um 18 Uhr im Parktheater in Lahr

Interview geführt am 14. Januar 2022 – Chloé Lefèvre
Fotos: Theater Eurodistrict Baden Alsace, Tillmann Krieg

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