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„Penthesilea“ im Theater Basel: Interview mit der Filmemacherin Eva Trobisch

Im Theater Basel inszeniert Eva Trobisch aktuell den grandios komponierten Kampf zweier Liebender gegen sich selbst und gegeneinander. Als Stellvertreter*in eines überkommenen Systems brechen sie mit der gesellschaftlichen Ordnung, die keinen Raum für alternative Lebensformen lässt. Nach Trobischs preisgekrönten Film ‹Alles ist gut› mit Ensemblemitglied Aenne Schwarz in der Hauptrolle ist Heinrich von Kleists ‹Penthesilea› nun ihre erste Theaterinszenierung.

Schicksal und Leidenschaft treiben die Amazonenkönigin Penthesilea und den griechischen Heerführer Achill zueinander. Doch das Gesetz schreibt vor: nur eine siegreiche Amazone hat auch ein Recht auf erotische Eroberung. Liebes- und Blutrausch sind bald nicht mehr voneinander zu trennen… 

szenik hat sich mit Eva Trobisch nach einer Probe über die Figur Penthesilea, den Konflikt zwischen Individualismus und sozialer Verantwortung sowie ihre Regiearbeit unterhalten.

❗️Penthesilea ist ab dem 29. Januar im Theater Basel zu erleben.
Weitere Informationen: www.theater-basel.ch

In Kleists Stück beschreibt Odysseus Penthesilea als „bewusste, stolze und wilde“ Person. Würden Sie dem zustimmen?

Eva Trobisch: Ich würde Penthesilea als eine für mich sehr nachvollziehbare Person beschreiben, die natürlich impulsiv, emotional, eruptiv, cholerisch und narzisstisch ist, aber alles in einem Rahmen, der mir nicht unvertraut ist und den ich durchaus menschlich finde. Eine Person, die aber zerbricht an dem Wiederstreit zwischen der sozialen Verantwortung, die sie für ihre Sozialisation, ihr Volk und ihre Glaubensätze hat, und ihrem persönlichen Begehren. Dieser altbekannte Konflikt zwischen der sozialen Rolle und den individuellen Bedürfnissen ist bei ihr teilweise aber sehr stark und sehr zugespitzt. 

Im Gegensatz zu alten Interpretationsansätzen, die Penthesilea als wild gewordene Furie darstellen, verstehe ich sie aber als jemanden, der an den Rand des Wahnsinns getrieben wird. Natürlich stecken auch Gedanken zum Geschlechterkampf und Ohnmacht und Macht in diesem Stück; mich interessiert aber mehr der strukturelle oder systemische Ansatz von zwei Welten, die da mit unterschiedlichen Regeln aufeinanderprallen. Den findet man schließlich immer in allen Kriegssituationen und Lagern wieder: Bei Impfgegnern und Impfbefürwortern, verschiedenen Volksstämmen oder Religionen… Da trifft man immer auf einen archaischen Grundkonflikt des „Wo komme ich her?“, „Was trage ich an Sozialisierung in mir?“, oder „Welche Bedürfnisse habe ich?“. 

Deswegen war es mir wichtig, dieses Stück nicht nur auf zwei Personen und diese vermeintliche Liebesgeschichte zu reduzieren. Zu zeigen, dass das Bedürfnis siegen zu müssen nicht von ihnen (Penthesilea und Achill) kommt, sondern von außen vorgegeben wird, sodass eine Begegnung ihrerseits auf Augenhöhe gar nicht möglich ist. 

Sie stellen also nicht die Liebesgeschichte in den Vordergrund ? 

Ich finde nicht, dass es sich bei Kleist um eine Liebesgeschichte handelt. Es scheint mir, als sei Achill eine Art Tatort-Kommissar, der nur dafür da ist, Fragen zu stellen (lacht). Im Grunde taucht er in einer großen Szene auf und stellt die ganze Zeit Fragen, damit wir mehr über Penthesilea und den Frauenstaat erfahren. Ich interessiere mich nicht sehr für Liebesgeschichten, die von der Prämisse ausgehen, dass man sich einmal sieht und sich dann unsterblich ineinander verliebt… Das entspricht nicht meiner Lebenserfahrung (lacht). 

Wir arbeiten in gewisser Weise gegen diese Setzung und suchen danach, was Penthesilea und Achill miteinander verbindet (abgesehen von diesen vermeintlich großen Liebesgefühlen). Sie haben ein gemeinsames Problem: Sie müssen beide etwas tun, das sie nicht wollen. Da finde ich Achill eine sehr interessante Figur, weil er kriegsmüde ist, nicht sterben kann und gleichzeitig morden muss, selbst aber nie zur Exposition steht. Für uns ist er ein totaler Antiheld, eine sehr müde und suizidale Figur, die aussteigen will und für den Penthesilea eine Form von Exit-Strategie aus seinem Dasein darstellt. Wir suchen nach der Gemeinsamkeit zwischen ihm und Penthesilea, die auch unter ihrer sozialen Rolle leidet und etwas tun muss, das sie sehr anstrengt. 

Wir haben den Wunsch, das Ende in einer gewissen konsensualen Auslegung zu interpretieren. Also, dass es nicht die wildgewordene Frau ist, die den armen Achill in Stücke reißt, sondern dass es durchaus von Beiden so gewollt ist. 

Eva Trobisch @DR

Wie ist Ihre Herangehensweise an das Theaterstück: über die Figuren oder die Geschichte? 

Bei all meinen anderen Arbeiten gehe ich grundsätzlich über die Figuren heran, was auch hier zum Teil stimmt. Gleichzeitig ist es Wahnsinn Kleists Penthesilea szenisch umzusetzen, weil es praktisch unspielbar ist. 

Tatsächlich finde ich diese Fabel irre. Ich finde diese Setzung so aufregend; also zu sagen, dass man nur den lieben kann, den man auch besiegt hat… Dass sie sich alle zusammen einen Komplott bauen und im Schutzraum dieser Lüge eine andere Begegnung möglich ist, das finde ich als Konstruktion einfach universell und übertragbar. 

Ich gestehe, dass ich mich beim Lesen in Achill verliebt habe. Er ist so eine anrührende Figur! Bei uns ist er nicht der junge Held; er ist in die Jahre gekommen und hat eine Glatze; er ist erschöpft und müde. Und in dem Moment, in dem er schon gar nicht mehr kämpfen will, lernt er Penthesilea kennen. Dadurch bekam ich Lust, ein anderes Bild von Achill zu zeichnen. Bei uns ist er nicht der Terminator der griechischen Antike. 

Für gewöhnlich verfassen Sie die Drehbücher zu Ihren Filmen. Hier ist der Text vorgegeben. Zuckt es da gelegentlich in den Fingern? 

Hinzufügen möchte ich gar nichts. Allerdings habe ich den Text stark reduziert und aus der vorgegebenen Fassung ein Vier-Personen-Stück gemacht. Um den strukturellen Ansatz zu unterstreichen, war es mir wichtig, dass Penthesilea und Achill einen Partner haben, der auf dem Spiel steht. Wenn sie sich für das Andere entscheiden, brechen sie mit ihren Liebsten, ihren Familien, ihren engsten Vertrauten. 

Dadurch hatte ich schon das Gefühl zu schreiben, weil man die Geschichte auseinander baut und sie wieder zusammensetzt. Es ist natürlich schwer. Im Allgemeinen arbeite ich eher kleinteilig und psychologisch… und was mich hier interessiert, ist auch die Psychologie. Wenn man vom Film kommt, muss man in so einer Situation natürlich sehr ausloten, wie kleinteilig oder bezüglich man mit so einem Text umgehen kann oder was dieser an Autonomie oder Kraft braucht.

Ich habe hier aber das Gefühl, mich an etwas hochziehen zu können und muss mich auf die Suche nach neuen Formen machen, die ich vorher so noch nicht betreten habe. Das ist gleichzeitig aufregend und nicht so einfach. 

Es ist also eine glückliche Herausforderung? 

Jetzt, da wir uns den Text erobert haben und frei arbeiten können, macht es Spaß. Ich bewundere Theaterleute für ihre unfassbare Abstraktionsfähigkeit. Man muss sich das Bühnenbild, die Kostüme, andere SchauspielerInnen vorstellen – man muss sich auf allen Ebenen alles vorstellen und verlässt am Abend immer eine Baustelle. Man weiß immer erst am Ende, ob „man die Kuh vom Eis kriegt“. Das ist natürlich anders beim Film. Da werden Szenen gedreht und dann von der Dispo gestrichen. Das finde ich sehr herausfordernd und spannend. 

Sie haben schon oft mit Aenne Schwarz zusammengearbeitet. Wie ist es, sie jetzt in ihrem Theateruniversum zu erleben? 

Toll; das erdet mich sehr. Als ich Aenne kennenlernte, war sie am Burgtheater und hatte kaum Filmerfahrung. Dann hatten wir ein Casting und ich habe mich schockverliebt in sie. Als ich aber die Castingbänder mit anderen Personen besprach, war ihnen Aennes Spiel viel zu groß und zu viel… In meinem letzten Film spielte sie eine extrem kontrollierte und in sich gefangene Figur. Da habe ich sie die ganze Zeit gebeten, in sich zu kehren und vieles zu unterdrücken. Und nun machen wir genau das Gegenteil. Jetzt heißt es: „Reize es mal aus!“. Es ist eine sehr freudvolle Erfahrung, zweimal in ganz unterschiedliche Richtungen wandern zu können. 

Mit welchen Gefühlen sollen die ZuschauerInnen nach der Vorstellung von Penthesilea nach Hause gehen? 

Mit einer melancholischen Lebendigkeit oder einer brutalen Zärtlichkeit? Etwas sehr Gegensätzlichem, das kann ich sagen. Ach, sagen wir mit Liebe. Liebe ist immer schön.

Zu Eva Trobisch
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Eva Trobisch wurde 1983 in Berlin geboren. Sie assistierte erst am Theater, dann beim Film. 2009 begann sie ihr Regiestudium an der Hochschule für Fernsehen und Film in München. Ihre hier entstandenen Arbeiten sind mehrfach preisgekrönt. 2013 studierte sie Dramatic Writing an der NYU Tisch School in New York und absolvierte 2015 einen Drehbuch Master an der London Film School. Ihr erster Langfilm ‹Alles ist gut› (2018) feierte seine internationale Premiere im Wettbewerb des Filmfestival Locarno, wo er mit dem Preis für das beste Debüt ausgezeichnet wurde. Er erhielt den Förderpreis ‹Neues deutsches Kino› und den ‹FIPRESCI-Preis› auf dem Filmfest München, bekam den ‹Woman in Motion Award› auf dem Filmfestival Cannes und den ‹Preis der deutschen Filmkritik›.

Auch im Anschluss lief ‹Alles ist gut› auf vielen internationalen Festivals und erhielt zahlreiche weitere Preise und Nominierungen (u. a. in Stockholm, Sevilla, Thessaloniki, Montreal, Macao, Angers, Marrakesh, New York u. v. a.). Als Teilhaberin der Trimafilm arbeitet sie mit Trini Götze und Mariko Minoguchi an mehreren Stoffen. Sie ist Mitglied der europäischen Filmakademie und wurde im Februar 2020 in die Jury der neuen Berlinale-Wettbewerbsreihe Encounters berufen. Mit ihrer Familie lebt sie in Berlin. Mit ‹Penthesilea› realisiert Eva Trobisch in der Spielzeit 21/22 ihre erste Arbeit auf der Theaterbühne.

Foto: Theater Basel
Interview: j. lippmann, Januar 2022

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