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Oh Gott, mein Gott, Gottchen, lieber Gott: Wut von Elfriede Jelinek im Theater Freiburg oder der wütendste Teddybär der Theatergeschichte

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„Auch wenn ich unglücklich bin, bin ich doch ein Mensch.“ „Nazi kann man heute schon wieder sein.“ Solch Sätze fegen durch den epischen Wutanfall der Nobelpreisträgerin und Schriftstellerin Elfriede Jelinek, der derzeitig im Theater Freiburg in einer Inszenierung von Hermann Schmidt-Rahmer gezeigt wird. 

Vorwort – Kurz vor der Premiere: Auf dem Weg zum Theater erlebt die hier schreibende Feder folgende Szene: Eine kleine Demonstration findet nicht unweit des Stadttheaters gegen die Türkei-Offensive in Syrien statt und verwandelt sich schnell in einen Beleidigungstornado. Ihr gegenüber steht eine sympathisch wirkende Frau mit Kinderwagen, die bei diesem Anblick die Nerven verliert und vor Kind, Sonne und blauem Abendhimmel ein böses „F**** euch!“ in die Ohren der Demonstranten brüllt. Oha! Wutnerv getroffen. Vermutlich würde sie ihren Spross für eine solche Ausdrucksweise ohne Nachtisch ins Bett schicken…  

Szene – Wenige Minuten später: Die Einführung zu Jelineks Wutausbruch im Theater Freiburg endet mit dem Ratschlag sich zu entspannen und den Humor der Autorin auf sich einwirken zu lassen. Ein bisschen Bammel haben die Knie schon, denn, wer Jelineks Texte bereits auf der Bühne erleben durfte, weiß, welches Wort-Monster bereits ungeduldig hinter dem Vorhang lauert.

Szene – Und schon geht es los: Die Zuschauerin auf dem benachbarten Platz sieht den Glitzer, der Vorhang und Schauspieler Victor Calero kleidet und bemerkt, dass es vielleicht eine Spur zu glamourös für Frau Elfriede sei (Was denn, passt Rage nicht zu prickelndem Champagner?). Währenddessen fegt der erste Wutausbruch über die Bühne und erinnert leicht an eine nächtliche Szene vor einer Bar, in der die Weltverbesserer um vier Uhr nachts frierend draußen stehen und heftig gestikulieren. Die fasziniert klingende Erklärung der Funktionsweise einer Kalaschnikow allerdings, verwandelt die Pailletten und den in ihnen steckenden Mann in ein Bild des Schreckens.  

Szene – Am Wortschwall-Ball bleiben: Die Inszenierung von Hermann Schmidt-Rahmer ist fordernd; ausdrucks-und bildstark lässt sie die Zuschauer nicht zur Ruhe kommen (so wie ein ordentlicher Wutausbruch). Bild reiht sich an Bild; große, kleine, unschöne, wütende, philosophische, erniedrigende, gefühlspackende, zusammenklebende, auseinandergerissene Worte dringen in die Ohren – die Szenerie springt von Charlie Hebdo zur „vielleicht einmal interessant werdenden Persönlichkeit“ Herr H., geht in eine den Atem stockende Raserei über die Anschläge in Christchurch und Halle über; Herakles bringt seine Kinder um; die Männlichkeit (ach, die schon wieder) wird dazu aufgefordert, blut-und zornverschmiert für ihe „Nation“ einzutreten; Frankreichs lähmende und das Land im Griff habende Verbotswut wird beklagt; ein bisschen Spott auf das liebliche Freiburg fällt; ein Teddybär bekommt den Wutanfall seines Lebens und sagt dabei so viele richtig laute und unschöne Gedanken (was für eine Leistung der Schauspielerin Janna Horstmann!) – und über all dem thront das Wörtchen „Gott“. Gibt es wohl ein noch so schwierig zu erfassendes, überwältigendes, umstritteneres und zugleich abgenutzteres Wort als dieses? 

Szene – Vier Buchstaben, keine Angst?: Elfriede Jelinek schrieb diesen Text nach den Pariser Anschlägen im Jahr 2015 und beschäftigt sich darin mit all den, wie Drachenzähne aus dem Boden sprießenden, jungen Männern, deren Wut im Griff zur Waffe endet. Dabei stellt sie folgende Fragen: „Wieso haben sie keine Angst vor ihrem Gott?“ Und (zugespitzter): „Versagen wir beim Töten, weil wir keinen Gott zulassen wollen?“ Gedanken, die in solcher Art hin-und wieder aufkommen, wenn die Nachrichten von Anfang 20-jährigen Fanatikern sprechen, die meinen, eine Waffe aus dem Kofferraum ziehen, Menschen erschießen und sich dabei filmen zu müssen, hätte einen heroischen Wert. Wie damit umgehen, wie darauf reagieren, WIE DARAUF WÜTEND SEIN und WIE MIT DIESER WUT UMGEHEN?

Denn, trotz eines an den Kräften zehrenden Stückes, zeigt dieser Abend, wie hilflos sich ein Wutausbruch anfühlen kann. Wie kann sich diese spürbare Machtlosigkeit angesichts solcher Taten in eine gemeinschaftliche Kraft verwandeln, die der Zeit einmal so richtig den Kopf wäscht? Wo ist sie nur hin, die Vernunft? Unsere Welt ist bespickt mit diversen fragwürdigen Personen, die meinen, ihr Wutausbruch würde letztendlich zu Ordnung führen, dass sie die Antworten auf all die wütend machenden Fragen hätten – aber im Grunde können sie nur eines: wie kleine Jungen über den Spielplatz rennen und das „Ballern“ üben. 

Szene fünf – Ja, die braucht es für ein gutes Drama!: Und das Drama nennt sich Weltgeschehen. Es schnürt die Luft ab, hält dem Glück den Mund zu, beißt dem Lebenswillen den Faden ab und bringt die Wut zum Platzen. Wie eine Kalaschnikow. 

Vorhang fällt. Die Wut applaudiert. Der denkende Mensch ist erschöpft. 

Fotos: Tanja Dorendorf / T+T Fotografie

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