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Jana Günther im Gespräch zu „Resonanz“, ein Augmented-Reality-Projekt des Stuttgarter Kammerorchesters

Zum 60-jährigen Bestehen der Städtepartnerschaft der Landeshauptstadt Stuttgart mit der Europastadt Straßburg hat das Stuttgarter Kammerorchester (SKO) ein neues Projekt entwickelt. Resonanz ist eine einzigartige Installation mit Musik, Kunst und Animation in einer Augmented Reality und stellt einen Ort der Begegnung und interaktiven Erfahrung für alle Menschen dar. Szenik hat sich mit Jana Günther, Konzepterin und Regisseurin von Resonanz, über die Entstehung des Projektes, die Verfügbarkeit von Kulturprojekten und Digitalisierung im Bereich der klassischen Musik unterhalten. 

Vom 7. Juli bis 26. August in Stuttgart (Kleiner Schlossplatz)
Vom 24. September bis 31. Oktober in Straßburg (Palais de la Justice – Quai Finkmatt)
Zur Website : www.sko-resonanz.com

Wie ist die Idee zum „Resonanz“-Projekt entstanden? 

Im letzten Winter habe ich das Buch „Resonanz – Eine Soziologie der Weltbeziehung“ von Hartmut Rosa in einem Buchladen entdeckt, dessen Titel ich sehr inspirierend fand. Als ich dann an der Kasse stand, sprach mich eine Frau an und fragte, ob wir uns nicht einmal treffen und über dieses Werk reden könnten. Das ist mir noch nie bei einem Buch passiert!
In dem Werk behandelt Hartmut Rosa das Thema der Resonanz; also Resonanzen in unserem Körper, Resonanzen in der Musik, Resonanzen der Gesellschaft… Auch wenn unser Projekt nicht darauf aufbaut, war es doch eine gute Inspiration für die Anfangsphase. 

Wie kam die Kooperation mit dem Stuttgarter Kammerorchester zustande? 

Resonanz“ ist mein zweites Projekt mit dem Stuttgarter Kammerorchester. Wir haben uns 2019 kennengelernt und die Zusammenarbeit ist einfach fantastisch! Der Intendant Markus Korselt ist so begeistert von der Digitalisierung und den Neuen Medien, dass er sehr offen für meine Idee zu einem kostenlosen Musikprojekt im öffentlichen Raum war. 

Wir sprechen immer über die Ansprache neuer Zielgruppen, aber es geht nicht darum einen Flyer in Neonfarben zu produzieren, sondern um die Mitnahme neuer ZuschauerInnen an dem Ort, an dem sie sich befinden… und das ist momentan die Digitalisierung. 

Unser Projekt ist kostenlos und findet im öffentlichen Raum statt; es ist zu jeder Uhrzeit begehbar und hat einen Play-Charakter, in dem sieben Personen (oder mehr) aufeinandertreffen. Es gibt eine Fotofunktion; man kann (nach Einschalten der Videofunktion) kleine Videos für Instagram realisieren, sodass „Resonanz“ nach außen transportiert wird. Ich habe die Hoffnung, dass wir mit dem Projekt Menschen auf etwas neugierig machen, mit dem sie vorher noch nicht in Berührung gekommen sind. 

Stuttgarter Kammerorchester I Wolfgang Schmidt

Wie hat Sie die Zusammenarbeit mit dem Stuttgarter Kammerorchester beeinflusst? 

Ich mag klassische Musik; ich habe über 15 Jahre lang selbst Klavier gespielt. Ich bin also mit den Standardnamen vertraut (lacht). Ich habe Wirtschaftswissenschaften und dann ein Zweitstudium an der Filmakademie Baden-Württemberg, im Bereich Film-und Medienproduktion, absolviert.

Diese Zusammenarbeit ist nur aufgrund der Aufgeschlossenheit des Stuttgarter Kammerorchesters möglich. Die Suche nach unseren Schnittpunkten finde ich dabei das Interessante und Bereichernde. Wir lernen gegenseitig sehr viel bei dieser Kooperation. Unser running gag ist meine folgende Bemerkung: „Markus, mach doch mal ein bisschen mehr Carmina Burana.“; dann muss er immer lachen. 

Wie genau wird das „Resonanz“-Projekt in der Stuttgarter Innenstadt ablaufen? 

In der Innenstadt wird ein 140m2 großes Floorgraphic von Marc Fornes auf dem Boden aufgebracht. Diese Art „Sticker“ hat zwei Funktionen: Zum einen ist es ein visueller Anker für die PassantInnen, zum anderen verbindet es die analoge mit der digitalen Ebene. Die sieben Arme dieses dargestellten Sterns sind Markerpunkte und repräsentieren die sieben Instrumente. Nach dem Herunterladen der App kann man das Handy auf einen Marker halten, um somit die Stimme des jeweiligen Instrumentes zu starten. Dazu korrespondierend gibt es eine Animation. Erst wenn ein/e zweite/r PassantIn zum Floor hinzukommt, startet das zweite Instrument und beide TeilnehmerInnen sehen zwei Animationen. Es braucht also sieben Personen, um schlussendlich das ganze Konzert zu hören. Jede/r TeilnehmerIn ist ein Instrument, eine Stimme. Die Musik und ihr Klang verändern sich mit den Bewegungen der TeilnehmerInnen. Zudem verändert sich die Animation mit dem Einloggen jeder weiteren Person, d.h. sie haben in gewisser Weise die Funktion eines Auslösers. 

Mit dem Projekt unterstreichen wir die Wichtigkeit einer Gemeinschaft: Erst wenn wir alle gemeinsam spielen, kann etwas Wunderbares und Neues entstehen. 

SKO_Resonanz_Floorgraphic

Geht es bei diesem Projekt um eine Erfahrung oder die Entdeckung einer Komposition? 

Das Projekt hat mehrere Ebenen, die es meiner Meinung nach so spannend machen. Wenn ich mir eine Animation ansehe, dann sehe ich nur die Animation. Gehe ich in ein Konzert, höre ich nur die Musik. Wenn ich Menschen sehen will, dann gehe ich in ein Café. Diese drei Komponenten Kunst – digitale Kunst – Musik – Begegnung – kommen in „Resonanz“ zusammen. 

Ich mag interdisziplinäre Projekte. Es ermöglicht den ExpertInnen und Kreativschaffenden über den Tellerrand zu blicken und verschiedene Welten aufeinandertreffen zu lassen. „Resonanz“ ist nicht nur eine Chance für die Musikvermittlung, sondern eine Möglichkeit jüngere Zielgruppen zu erreichen. 

Das „Resonanz“-Projekt startet am 7. Juli in Stuttgart und geht danach auf Reisen (Straßburg, Saarbrücken). Welche Städte sind geplant? 

Stuttgart feiert seine 60-jährige Städtepartnerschaft mit Straßburg. Da unser Projekt von Anfang an einen verbindenden Charakter hatte, fügt es sich gut in diese Festlichkeiten ein.

Gleichzeitig war uns ein internationaler Austausch sehr wichtig. Das Institut Français Stuttgart konnte einen Kontakt zur Maison européenne de l’Architecture – Rhin supérieur herstellen, sodass das Projekt auch in Straßburg gezeigt werden kann. Allerdings geht es uns dabei nicht nur um die Musikvermittlung zwischen deutschen und französischen SchülerInnen; wir wollen auch Erwachsene erreichen. So haben wir ein Rahmenprogramm an Führungen, Events und Treffen eingerichtet, um weitere Begegnungsmöglichkeiten zu schaffen. 

Dass das Projekt nach Saarbrücken kommt, liegt an meiner persönlichen Beziehung zum Saarland. Ich bin dort aufgewachsen und finde die Stadt einfach toll. Zudem führen wir Gespräche mit anderen Ländern, wie zum Beispiel der Schweiz, Luxemburg und Lichtenstein. 

Andererseits setzen wir uns mit diesem Tournee-Wunsch auch mit der Frage nach den Open Sources des Kulturbetriebes auseinander. Oftmals finanzieren sich Projekte durch Förderungen, d.h. durch Steuergelder (bis auf private Sponsoren oder Stiftungen). Da es dennoch häufig an den ausreichenden Finanzmitteln fehlt, finde ich die Verfügbarkeit von Projekten wichtig. Kulturinstitutionen sollten erarbeitete Materialen/Programme miteinander teilen um aus dem begrenzten Budget, welches sie haben, mehr Fokus auf die Kreativität legen zu können.
Wir stellen „Resonanz“ jeder Stadt oder jedem Land zum Selbstkostenpreis zur Verfügung, wobei es da vor allem um die Druckkosten des Floorgraphic und die Verlängerung (oder Anpassung) einiger Rechte für das jeweilige Land geht.

Sie haben es bereits angesprochen: Ein reichhaltiges Rahmenprogramm an Begegnungen, Gesprächen, Veranstaltungen ist in den kommenden Wochen in Stuttgart geplant…

Dieses Rahmenprogramm ist uns sehr wichtig. Es bringt nichts, wenn wir übereinander reden; wir müssen miteinander kommunizieren. Mit „Resonanz“ wollen wir einen Ort der Begegnung schaffen, daher laden wir jede/n BürgerIn, jeden Verein, jede Institution zur Teilnahme ein, um mitten in der Stadt eine Begegnungsstätte für Austausch zu schaffen.
 

Welchen Herausforderungen sehen sich Orchester ausgesetzt, wenn sie im digitalen Bereich arbeiten möchten? Welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht? 

Zum einen sind es immer die Kosten, zum zweiten ist es die Machbarkeit. Zum dritten ist es immer zielgruppenspezifisch. Allerdings lässt sich feststellen, dass Theater und Museen im Bereich der Digitalisierung den Orchestern etwas voraus sind (siehe Museum 4.0 der MFG Baden-Württemberg). Wir hoffen natürlich, dass unsere Kooperation mit dem Stuttgarter Kammerorchester auch andere Orchester mehr für digitale Projekte sensibilisiert. 

Ein Hindernis scheint mir die begrenzte Förderung in diesem Bereich zu sein. Theater und Museen können mittlerweile von finanziellen Unterstützungen für digitale Projekte profitieren; bei Orchestern ist dies immer noch schwierig. Musik ist per se auditiv und nicht visuell. Eine Brücke zwischen Musik und audiovisueller Arbeit zu schlagen, ist daher nicht einfach und stellt eine innovative Herausforderung für die kommenden Jahre dar. 

Ein weiterer Punkt sind die Kosten der technischen Mittel. Ein Orchester spielt ein Konzertprogramm oftmals nur ein oder zwei Mal. Ich habe bereits mit der Idee eines Konzertes in Augmented-Reality-Form gespielt. Allerdings kostet eine Brille schon 500€. Bei zweitausend BesucherInnen kommen wir da auf einen Gesamtpreis von 100.000€. Dazu kommen die Animationskosten, die Produktionskosten, etc… Niemand kann 300.000€ für einen Abend ausgeben! 

Dennoch ist Förderung im Bereich der klassischen Musik sehr wichtig, denn Neue Medien sind mittlerweile zu einem wichtigen Aspekt bei der Ansprache eines jüngeren Publikums geworden. Da lohnt es sich, meiner Meinung nach, langfristig und mehr mit Open Source sowie Open Codes zu arbeiten.

SKO I Bildschirmfoto

„Resonanz“ startet in ein paar Tagen. Was wünschen Sie sich für die Umsetzung und die Zukunft dieses Projektes? 

Ich würde gerne sehen, wie ganz unterschiedliche Menschen an diesem Projekt Spaß haben. Gerade dieser Moment, in dem fremde Personen aufeinandertreffen, sich in die App einloggen und daran teilnehmen, wird sehr spannend. Ich wünsche mir, dass dabei Verbindungen entstehen, die TeilnehmerInnen zusammen lachen und Sätze zu hören sein werden, wie: „Hallo, ich bin die Geige. Bist du der Bass?“. 

Jeder Verein, jede Institution kann sich melden und eine Veranstaltung oder ein Gesprächsthema vorschlagen. Wir haben eine Website eingerichtet, die alle Veranstaltungen erfasst und veröffentlicht. 

Ich würde mich freuen, wenn unser Projekt durch die Welt wandert. Was passiert, wenn ein solches Kunstwerk durch verschiedene Länder zieht und an diversen Orten Platz nimmt? Ich kann mir das Unvorstellbare vorstellen – und darauf freue ich mich. Es soll, wie ein Lebewesen, organisch wachsen. Was uns Menschen ausmacht, sind unsere Erfahrungen und Erinnerungen. Je mehr Veranstaltungen mit Menschen und durch Menschen an diesen Orten stattfinden, umso größer wird die Möglichkeit der Verknüpfung unter-und miteinander. Das Beste ist, sich zu unterhalten, zu reisen und zuzuhören. 

Über das Stuttgarter Kammerorchester
77 Jahre nach seiner Gründung sieht sich das Stuttgarter Kammerorchester (SKO) – mit seinem musikalischen Führungsduo Thomas Zehetmair und Jörg Widmann sowie unter der Leitung seines Geschäftsführenden und Künstlerischen Intendanten Markus Korselt – als kulturelle Instanz mit Verantwortung in einer Doppelrolle. Die Tradition bewahren und gleichzeitig klangliche und programmatische Maßstäbe für die Zukunft setzen: Daraus schöpft das SKO seine kreativen Ideen. Ein reiches Repertoire vom Barock bis hin zu Uraufführungen, die Zusammenarbeit mit international bekannten Solist*innen und das selbstbewusste Überschreiten von Genregrenzen mit herausragenden Künstler*innen aus Jazz und Elektronischer Musik in publikumsnahen Formaten machen es zu einem der vielseitigsten Ensembles der Gegenwart mit weltweiter Konzerttätigkeit. Einen besonderen Schwerpunkt legt das SKO auf die Digitalisierung, mit der in schneller Taktung neue Projekte und Visionen entstehen, um Menschen über alle Grenzen hinweg im Hier und Jetzt zu erreichen. Im März 2022 erreichte das SKO als erstes Orchester in Deutschland die Klimaneutralität.

Über Jana Günther und Tobias Scherer, Medienkonzeption
Mit 15 Jahren Erfahrung in der Film-und Medienbranche konzipieren, produzieren und beraten Jana Günther und Tobias Scherer internationale Kulturbetriebe und Unternehmen im Bereich neue Medien für digitale Projekte. Sie arbeiten projektbezogen mit renommierten Künstler*innen und Spezialist*innen zusammen, um immersive Erlebnisse im Zeitalter der Digitalisierung zu kreieren. 

Über Marc Fornes, den Künstler des Resonanz-Floors 
Marc Fornes ist ein Architekt DPLG, der sich auf Computational Design und Digital Fabrication spezialisiert hat. Er leitet MARC FORNES / THEVERYMANY, ein in Brooklyn ansässiges Studio, das eine prototypische Strategie entwickelt hat, um Oberfläche, Struktur und räumliche Erfahrung in einem einzigen tektonischen System zu vereinen: durch die Erfindung von Structural Stripes. In den letzten Jahren hat das Studio eine Reihe von dünnschaligen Pavillons und Installationen gebaut, die die Grenzen von Form, Struktur und Raum erweitern. Einige davon wurden vom Centre Pompidou (Paris), dem FRAC Centre (Orléans), der Art Basel Miami, dem Guggenheim (New York) und anderen erworben und ausgestellt und bei Philipps De Pury versteigert. Fornes‘ mit internationalen Preisen ausgezeichnetes Studio wurde 2012 vom American Institute of Architects als Teil von New Practices New York und von der Architectural League, deren Preis des Jahres 2013 er gewann, anerkannt. Fornes hat seine Forschungsergebnisse als TED Fellow und in Graduate Design Studios an der Columbia GSAPP, in Harvard GSD, der University of California, der University of Michigan und bei Die Angewandte in Wien geteilt. Als Projektarchitekt bei Zaha Hadid Architects leitete er die Forschung für eine experimentelle Mediathek in Pau, Frankreich, und damit die bisher größte Schalenstruktur aus Carbonfasern.

Interview: j. lippmann
Am 23. Juni 2022
Foto: SKO

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