Website-Icon szenik

Interview mit Robin Davis, Generalmusikdirektor der Badischen Philharmonie am Theater Pforzheim

01_Robin_Davis_Andrea D´Aquino

Robin Davis ist Mathematiker, Pianist und seit dieser Spielzeit Generalmusikdirektor der Badischen Philharmonie am Theater Pforzheim. Wegen der Pandemie musste er lange warten, bis er nach „Fidelio“ im September letzten Jahres ein zweites großes Werk in Angriff nehmen konnte…

… Dann schlug er Ballettdirektor Guido Markowitz die 1. Sinfonie von Johannes Brahms für dessen neues Ballett „Brahms – Glaube Liebe Hoffnung“ vor – und schlüpfte in letzter Minute sogar in die Rolle des Alter Ego der Hauptfigur des Glaubens, zu sehen im Stream an diesem Freitag, 11. Juni, 20 Uhr, buchbar über die Homepage des Theater Pforzheim.

Brahms – Glaube Liebe Hoffnung I Andrea D’Aquino

Herr Davis, Sie durften, wegen der Pandemie, in Ihrer ersten Spielzeit als GMD selten öffentlich spielen. Wie ist es Ihnen damit ergangen?

Es war natürlich frustrierend. Ich hatte mich sehr auf die neuen Aufgaben gefreut und viele Ideen und neue Konzepte entwickelt. Ich wollte mit voller Energie loslegen und als es dann hieß: „Stopp“, war das schon sehr bitter. Eine Stückabsage kann man gut verkraften, aber als es dann immer weitere Absagen gab, Und als klar war, dass die Absagen sich durch die ganze Spielzeit ziehen würden, gab es schon ein paar dunkle Momente. Andererseits: Die Zeit war auch ein Luxus, um an Dingen zu arbeiten, zum Beispiel meinem ersten Sinfoniekonzert endlich am 4. Juli oder einem Klassik-Programm für Schülerinnen und Schüler.

Wann und wie kamen Sie darauf, Guido Markowitz Brahms für ein neues Ballett vorzuschlagen?

Nachdem klar war, dass wir wegen der Pandemie auch Ludwig van Beethovens 9. Sinfonie nicht als choreografische Neuinterpretation würden aufführen können, habe ich Guido Markowitz gefragt, in welche Richtung er gehen möchte. In jedem Fall sollte die Musik etwas sehr Tiefes und Intensives haben. Am Ende erschien Johannes Brahms´ 1. Sinfonie passend.

Weshalb?

Sie hat vom Gefühl her eine gewaltige Größe. Als Werk weist sie viele Ebenen und ein breites Spektrum auf, dass ich dachte: Diese Komposition passt zur Energie von Guido Markowitz; zu dem, was er sucht und will. Die Energie der 1. Sinfonie ist vor allem am Anfang rau und ungeformt und hat viel Power. Es ist eine Energie vom Anfang aller Zeit. Ich wusste: Sie würde uns allen viele Möglichkeiten geben, viele verschiedene Emotionen auszudrücken, vor allem in dieser Corona-Zeit.

Andrea D’Aquino

Brahms´ 1. Sinfonie gleicht einer schroffen, zerklüfteten und zugleich weiten, sehnsuchtsvollen Landschaft. Was erleben Sie, wenn Sie sie hören?

Wenn man ein Musikstück einstudiert, kommen Bilder in den Kopf. Diese Bilder und Eindrücke sind subjektiv. Sie basieren auf keinem Programm, da Brahms dem Werk bewusst keines beigefügt hat. Höre ich den ersten Satz dieser 1. Sinfonie, spüre ich absolute Verzweiflung, aber auch Wut. Der ganze erste Satz steht wie unter Strom. Da ist etwas böse, traurig, voller Schmerzen, aber es ist aktiv. Es gibt nicht auf. Dafür erscheint mir der zweite Satz wie ein Gebet. Das ist etwas Heiliges und hat eine große Wärme. Der dritte Satz hat für mich etwas Frisches. Wie neuer Wind. Da kommen mir Bilder vom Garten Eden mit Adam und Eva – ein Ort der Unschuld mit vielen Tieren.

Die Melodien sind tatsächlich schlangenartig, so als ob sich das Böse in die Welt heranschleicht. Und der vierte Satz – wow, was für ein Satz. Da sind wir plötzlich kurz wie am Anfang in derselben Stimmung – in der Wut, in der Verzweiflung und im Schmerz. Dann aber spüre ich wieder diese Wärme. Es ist wie bei einem Gewitter. Die kleinen Pizzicati klingen wie Regentropfen, die Pauken wie Donner und die Bläser wie Blitzschläge, und dann kommt das Horn mit einer Melodie, als ob die Sonne aus den Wolken hervortritt, und die Welt ist wieder gut. Man hat ein Gefühl von Glück und Seligkeit, wenn man am Ende ankommt.

Was glauben Sie: Was war Brahms´ Anliegen mit seiner 1. Sinfonie?

Ich weiß nicht, was in Brahms´ Kopf vorgegangen ist. Sicher spiegelt sie seinen Kampf, diese Sinfonie zu schreiben. Er hat insgesamt an die zwanzig Jahre gebraucht und mehrere Versuche, um sie fertigzustellen. Ich nehme an, er hatte auch Angst. Aber er hat nie aufgegeben.

Was ist das Besondere für Sie an Brahms 1. Sinfonie?

Brahms schreibt hochemotional, aber strukturiert und akademisch. Das verlangt viel Fleiß und eine hohe Intelligenz. Er hat die alte Musik seiner Zeit studiert. Er wusste genau, wie der Kontrapunkt funktioniert. Trotzdem klingt seine Musik nie trocken. Er hat die Struktur nur als Gerüst benutzt und hinter einer wunderbaren Fassade aus Emotionen und Gefühle versteckt. Man kann Brahms´ Sinfonie sofort genießen.

Andrea D’Aquino

An was haben Sie mit der Badischen Philharmonie gearbeitet?

Es tauchte immer wieder die Frage nach der Richtung, in die wir spielen, auf. Denn vor allem in den langsamen Sätzen darf man nie in der Spannung nachlassen. Ich rufe also immer ins Orchester hin: „Weiter denken mit Richtung, nicht nachlassen in der Spannung.. Ansonsten versuche ich, Brahms nicht “romantisch“ zu interpretieren. Ich versuche alles schlicht und genau zu halten. Dann ist die Musik noch effektvoller und stärker und sie gibt der Choreografie maximalen Raum.

Was reizt Sie an der 1. Sinfonie als Dirigent?

Ich bin jemand, der gerne gewagt musizieren möchte. Ich möchte etwas riskieren. Das geht vielleicht schief, aber ich habe dann ein Angebot gemacht. Das bedeutet es auch für mich zu musizieren: dass man bis an die Grenze der Emotionen geht. Dieses Wagnis habe ich in den Proben zu Brahms mit der Badischen Philharmonie einzugehen versucht und das Orchester hat es wunderbar umgesetzt. Ich bin sehr happy und zufrieden. 

Interview: Theater Pforzheim
Foto: Robin Davis I Andrea D´Aquino

Die mobile Version verlassen