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Interview mit der Theaterpädagogin Isabell Dachsteiner des Theaters Baden-Baden: Wie würde dein Wunschalltag aussehen?

Im Theater Baden-Baden öffnet sich heute der Vorhang für das Stück „Ein Tag aus den Fugen“. Entwickelt vom Kinderclub U12, beschäftigt es sich mit dem Alltag und dem Wunsch, daraus auszubrechen. 

Szenik hat sich vorab mit der Theaterpädagogin Isabell Dachsteiner über die Entstehung des Stückes und ihre Arbeit unterhalten. 

Die Vorstellungen von „Ein Tag aus den Fugen“ finden an diesem Wochenende statt. Der Eintritt ist frei. Allen teilnehmenden Kindern wünschen wir ein lautes toi toi toi! Viel Spaß! 

Das Theater Baden-Baden bietet Spielclubs für Kinder und Jugendliche an. Wie setzen sich diese zusammen?

Der Kinderclub ist einer unseren Spielclubs am Theater Baden-Baden. Wir haben den Kinderclub U12 und den Jugendclub U22. Hier können sich Kinder und Jugendliche beteiligen und einen Einblick in den Spielbetrieb bekommen. Der Kinderclub richtet sich an Kinder im Alter zwischen 8 und 12 Jahren. Er beginnt immer zum Anfang der Spielzeit und wird von zwei Theaterpädagoginnen (Isabell Dachsteiner und Angéline Deborde) geleitet. Immer im Wechsel entwickeln wir jeweils ein Stück, das die Kinder selbst erfinden oder das eine literarische Vorlage zum Gegenstand hat. Zur Aufführung kommt es dann immer am ersten Februarwochenende, zu der die Kinder ihre Familien und Freunde einladen. 

Was können Sie uns über das diesjährige Stück erzählen?

In diesem Jahr verstärken wir den partizipativen Aspekt, das heißt, dass die Kinder dieses Mal mehr bei der Entstehung des Gesamtkonzeptes integriert wurden. Zu Beginn haben sie selbst kleine Geschichten zum Thema „Was macht einen Tag aus?“ und „Wie würde dein Wunschalltag aussehen?“ geschrieben. Aus diesen kreativen Ideen haben wir geschöpft und die Kinder an der Gesamtdramaturgie beteiligen lassen. Wir haben zusammen gemeinsame Entscheidungen getroffen, wie zum Beispiel ein Element aus jeder verfassten Geschichte ins Stück einzubinden. 

In dem Stück „Ein Tag aus den Fugen“ geht es um eine Hauptfigur namens Toni. Sie / er wird von allen Kindern gespielt: Die Rolle wird immer weiter gegeben, sodass alle einmal Toni spielen können. Unsere Hauptperson wacht an einem ganz normalen Morgen auf; die Mutter ruft zum Frühstück und sie ist genervt, da ihr Sohn beim Zähneputzen trödelt. Tonis kleiner Bruder, der währenddessen mit einem Kakao vor dem Fernseher sitzt, ist noch sehr jung und muss noch nicht so früh in den Kindergarten. Dann fährt der Schulbus weg und Toni kommt völlig verschwitzt in der Schule an… Er / sie fragt sich: Warum muss der Alltag eines Schulkindes so unfair sein? Wäre es nicht großartig, einmal diesem Alltag zu entfliehen?  

Am nächsten Tag kommt Toni wieder in die Schule und tatsächlich begegnet ihr/ihm ein kleiner rosa Hamster. Dieser Hamster hat die Möglichkeit, Wünsche zu erfüllen. Toni wünscht sich einen Alltag mit fantastischen Möglichkeiten und Wünschen, die in Erfüllung gehen. 

Als Theaterpädagoginnen war es interessant für uns zu sehen, wie stark Kinder in solche Strukturen eingebunden sind. Wir haben bemerkt, wie ihr Alltag bereits in jungen Jahren schon sehr getaktet sein kann. Allerdings wurde uns dies nicht von den Kindern bestätigt. Sie haben in ihren Geschichten Fantasiewelten entworfen, die es ihnen ermöglichten, dem Alltag zu entkommen. Dennoch wünschten sich viele von ihnen am Ende ihrer Geschichte wieder eine Rückkehr zu einem „normalen Tag“.

Dem Alltag zu entfliehen und alles nach freien Wünschen zu machen, stand letztendlich nicht bei den Kindern im Vordergrund; viel weniger, als wir es uns dachten. Wir haben uns gefragt, ob diese Reaktionen von der Pandemie beeinflusst sind. Immerhin wurden die Kinder in dieser Zeit aus ihrem Alltag herausgerissen und konnten nicht mehr ihre  FreundInnen treffen. Ich glaube, dass das inhaltlich eine große Rolle bei der Stückentwicklung gespielt hat.  Schließlich steht am Ende von Tonis Reise die Bitte, wieder in den Alltag zurückzukehren, um mit Freunden Zeit verbringen zu können. Das war für uns als Theaterpädagoginnen sehr lehrreich. Wir dachten, die Kinder würden gerne aus dem Alltag ausbrechen; stattdessen wünschten sie sich eine Rückkehr. 

Haben die Kinder auch an der Entwicklung des Bühnenbildes teilgenommen?

Ja, denn wir wollten in diesem Jahr die Kinder in alle Bereiche einbinden. Unser Bühnenbildner Sebastian Ganz hatte angeboten, eine Bühnenbild-Werkstatt für die Kinder zu machen. Dort haben unsere TeilnehmerInnen gebastelt und gemalt. 

Im Stück befindet sich jedes Kind in einem kleinen und selbst gestalteten Puppenhäuschen aus Holz; das ist der Ausgangsort aus dem die Kinder ihre Szenen spielen werden. 

Außerdem wird es Rollelemente geben: Das sind verschiedene Gegenstände, auf den Orten markiert, an denen die Szenen spielen werden. Wie zum Beispiel: ein Sandkasten, ein Fenster, ein Schokoladenboot, usw. Diese Objekte können die Kinder über die Bühne rollen und so die Orte der verschiedenen Szenen markieren. Auch diese Elemente haben die Kinder entworfen und mit dem Bühnenbildner angefertigt. 

Sie arbeiten mit Kindern und mit Jugendlichen. Haben letztere eine andere Weise mit Theater umzugehen, sich beim Spiel auszudrücken? 

Jeder Entwicklungsstand bringt Gemeinsamkeiten mit sich. Trotzdem ist jede Gruppe verschieden; ganz unabhängig vom Alter. Die Jugendlichen beschäftigen sich viel mit Fragen der Norm und der Individualität. Ich sehe oft, wie sie sich in Improvisationsmomenten an Klischees abarbeiten, ganz egal ob sie diesen entsprechen oder etwas entgegensetzen wollen. 

Die Kinder haben einerseits eine wilde Fantasie und wollen alles Gehörte, Gelesene oder Gelernte am liebsten in eine Szene packen. Diesen „Hühnerstall“ an Erfindungen und neuen Worten muss man zu sortieren wissen (lacht). Gleichzeitig beschäftigen sie sich viel mit der Frage „Was ist falsch und was ist richtig?“. Da spüren wir einen Wunsch nach Struktur. 

Welchen Aufgaben müssen Sie als Theaterpädagogin nachgehen? 

Mein Beruf ist sehr vielfältig. Da ist zum einen die Theaterarbeit, sei es in Form von Workshops oder Stückentwicklungen. Hinzu kommt die künstlerische Arbeit mit Laien, sei es mit Kindern oder Senioren, die im Theaterclub zusammenfinden. Der andere große Bereich ist die Kulturvermittlung. Zu Produktionen des Kinder-und Jugendtheaters und ausgewählten Stücken erstellen wir ein theaterpädagogisches Begleitprogramm (Nachgespräche, Begleitmaterial, Vor- und Nachbereitung…). Zudem bieten wir stückbezogene Workshops an, die sich an Familien oder Schulen richten.  

Warum haben Sie sich für Theater entschieden?

Ich schaue auf einen langen Weg im Theater zurück. In der achten Klasse musste ich ein Praktikum absolvieren und wollte Schauspielerin werden. Meine Mutter ging mit mir daraufhin ins Schnawwl (Kinder-und Jugendtheater des Nationaltheaters Mannheim) und wir haben dort nach einer Praktikumsmöglichkeit gefragt. So hat es bei mir angefangen. In Mannheim habe ich den Jugendspielclub besucht und begonnen, Theater zu spielen. So habe ich Feuer gefangen. Nach zwei Ausbildungen (Schauspiel in Köln und Angewandte Theaterwissenschaften in Gießen) habe ich freiberuflich als Performerin und Theaterpädagogin  gearbeitet. 

Ich glaube, es ist die große Lust an Menschen und wie sie handeln, denken, leben und fühlen, aber in Kombination mit dieser hohen Sinnlichkeit und Präsenz von Körpern, die mich begeistert. Dieser Ereignischarakter, dass Menschen zusammenkommen und sich bewegen, macht für mich die Lust und Leidenschaft am Theater aus. 

Am 27. Januar 2022, Visiokonferenz
Interview: Chloé Lefèvre
Fotos: Anja Schoenwald

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