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Interview mit dem Schauspieler & Regisseur Alexander Ourth : „Wir kratzen nur an der Spitze des digitalen Eisberges.“

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szenikmag hat sich mit Alexander Ourth, Regisseur und Leiter des Trierer Titanic-Projektes, über sein Interesse an digitaler Kunst, den Austausch mit dem Publikum und die Arbeit mit neuen Technologien in der Theater-und Kunstwelt unterhalten. 

Unter der Trägerschaft der TUFA Trier wandeln sechs KünstlerInnen aus Trier aktuell die Komödie “Der Untergang der Titanic” von Hans Magnus Enzensberger in ein digitales Theater-Projekt um.

In insgesamt 25 Szenen wagen sie sich mit unterschiedlichen Herangehensweisen auf die digitale Bühne und experimentieren dabei auch mit artverwandten Medien: Stop-Motion-Animation, Motion-Capturing, Game Design, Illustration und Klangkunst. Die fragmenthafte Erzählform ermöglicht es den Beteiligten jede Episode mit unterschiedlichen Ansätzen und Vorstellungen davon, wie man digitales Theater macht, anzugehen. 

Die bereits während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 entstandene Idee befindet sich nun in der Umsetzung und wird in Kürze auf einer eigenen Website www.titanic-tufa-trier.de zu sehen sein. Gefördert wird das Projekt durch das rheinland-pfälzische Förderprogramm Fokus Kultur, die Stadt Trier und die Kulturstiftung Trier.

Quelle: TUFA Trier

Auf der Website des Titanic-Projekts steht geschrieben:
“Diese Webseite ist sozusagen der Theaterabend, der kein Theater mehr ist, (…).”

Ich glaube, dass die Bühne ein essentieller Ort ist. Dieses gemeinsame Erleben lässt sich nun einmal nicht durch den digitalen Raum ersetzen. Und das sage ich wirklich als jemand, der seit seiner Jugend ein großer Fan von digitalen Medien ist. Ich glaube aber, dass wir uns das Theatrale, das Poetische, vielleicht auch das Dramatische, in den digitalen Raum herüberretten können. Das einmal auszuloten und die Möglichkeiten anzufühlen, ist auch der Versuch bei unserem Titanic-Projekt. Es ist interessant zu sehen, wie wir, die Theaterschaffenden, zur Zeit mit unserer Kunst umgehen. Wir sind aktuell des Kernes, also unserer Kunst, beraubt und versuchen unser künstlerisches Denken auf andere Medien zu stülpen. 

Wie ist dieses Projekt entstanden? 

Das Projekt ist im Februar / März 2020 entstanden, als klar wurde, dass die Bühnen eine Weile geschlossen bleiben würden. So wie viele andere Theaterschaffende und KünstlerInnen hatte auch ich den Drang, trotzdem aktiv sein zu wollen. Daraufhin wurde das Internet mit wunderschönen Handyvideos geflutet. Allerdings hatte ich das Gefühl, dass das Medium mehr hergibt, als das, was die Bühnen damit produzierten oder auch das, was ich im ersten Moment versucht war zu realisieren. Gleichzeitig war noch gar nicht klar, wie unsere Branche finanziell unterstützt werden würde. Mir war es ein großes Bestreben, möglichst viele Personen irgendwie in Arbeit zu bringen.

Die Titanic hat sich zum Einen angeboten, weil irgendwie eine Art Untergangsstimmung herrschte. Zum Anderen hat der Text aufgrund seiner Form, das heißt mit 33 Gesängen und Zwischentexten, die Möglichkeit geboten, viele Menschen auf unterschiedliche Weise an dem Projekt teilnehmen zu lassen. Allerdings gab es zu diesem Zeitpunkt noch keine Förderstrukturen für solche Unternehmen, daher hat alleine die Antragsstellung lange gedauert… Und wie das so ist mit freien Projekten, denkt man sie immer zuerst sehr groß und dann werden sie von alleine kleiner (lacht). 

Daraufhin habe ich mich mit einigen gut bekannten KünstlerInnen aus Trier zusammengetan. Wir haben den Text unter uns aufgeteilt und uns wirklich gefragt, wie wir diesen digitalen Raum nutzen können. Ich glaube, dass wir bisher nur an der Spitze des Eisbergs der Möglichkeiten gekratzt haben, aber solche Projekte sind allein schon als Bestandsaufnahme wichtig. Also, zu verstehen, welche Kapazitäten notwendig sind, um zum Beispiel ein Theatergame zu schaffen. 

Die Website lässt den ZuschauerInnen die Möglichkeit, frei zu entscheiden, wie sie in die Umsetzung des Textes eintauchen wollen.  

Ich habe mich intensiv mit der Frage beschäftigt, was Theater für mich ausmacht und das ist natürlich die Interaktion. Diese könnte man jetzt nur noch verstärken, wenn man eine Art Videokonferenz live schaltet. Das ist aber auf die Dauer nicht haltbar für unsere Verhältnisse. Wären wir ein Stadt-oder Staatstheater hätten wir da sicherlich andere Möglichkeiten. 

Aber dieses interaktive Element fand ich immer schon sehr interessant, vermutlich weil ich selbst sehr viel Improvisationstheater spiele und mir das sehr ans Herz gewachsen ist. In unserem Titanic-Projekt steht die Interaktion dadurch im Vordergrund, dass sich jede.r ZuschauerIn wild durch die Szenen klicken kann und unterschiedliche Formen der Interaktivität geboten werden: Der Prolog ist zum Beispiel ist als Computerspiel gedacht. 

Also: Einschalten oder Ausschalten, das ist hier die Frage. 

Das ist eine spannende Frage: Wie können wir wissen, was die ZuschauerInnen interessiert und wie lange sie bleiben? Wir haben in diesem Sinne kein Feedback, obwohl es sicherlich technische Analyse-Tools gibt, die solche Einblicke gewährleisten. Aber diese in Stand zu setzen ist viel verlangt für ein Projekt. Wir arbeiten aktuell an einer Kommentarfunktion, damit das Publikum wenigstens schriftlich etwas hinterlassen kann. 

Sicherlich stellt sich auch die Frage, wie man in Zukunft mit solchen digitalen Projekte umgeht und in welcher Art und Weise sie unsere Theaterwelt bereichern können. 

Das Titanic-Projekt entstand in Zusammenarbeit mit sechs KünstlerInnen aus Trier. Wie lief diese Kooperation ab? 

Sehr chaotisch (lacht). Im Gegensatz zu meiner sonstigen Art wollte ich dieses Mal sehr frei arbeiten. Zuerst habe ich den Text bearbeitet, meine Gedanken dazu notiert und dann haben wir uns regelmäßig in Videokonferenzen getroffen, über unsere Ideen gesprochen und die Szenen sehr generös aufgeteilt. Ich halte mich nicht für den großen leitenden Regisseur in dieser Angelegenheit, sondern viel mehr für den Organisator und technischen Coach (zum Beispiel bei Fragen zu Videoaufnahmen, der Bearbeitung von Tondateien, usw.). Das Schwierige oder die Herausforderung dabei war, die Kapazitäten aus einem verbal definierten Wunsch heraus zu filtrieren. Wo zum Beispiel einen Synthesizer oder einen arabisch sprechenden Sänger finden? Normalerweise, wenn man frei arbeitet, laufen diese Fäden alle bei einem selbst zusammen. 

Die Website bietet ein Computerspiel, Video-und Audioformate. Warum haben Sie sich für diese unterschiedlichen Formate entschieden? 

Zu Anfang war es wirklich viel größer gedacht. Ursprünglich wollten wir ein Trierer Projekt mit den unterschiedlichsten und hier anzutreffenden Künsten auf die Beine stellen und Paarungen mit theaterfremden Menschen schaffen. 

Der Film ist für uns Theaterschaffende das nächst mögliche Medium. Aber es war und ist mein Bestreben, möglichst unterschiedliche Formen abzuklopfen, zum Beispiel werden noch ein Gesang als interaktive Website und eine andere Szene in Cartoon-Form gestaltet werden. Diese Diversität war mir sehr wichtig, auch auf Kosten einer Einheitlichkeit. Der Versuch ist aber nicht etwas Einheitliches zu schaffen, sondern Erkenntnis darüber zu bekommen, welche Angebote oder Formate funktionieren. 

Sie haben 2009 in Trier das Kulturlabor – Theater im Jetzt gegründet.
Ist es Ihr Wunsch, viel auszuprobieren und sich stets neu zu erfinden? 

Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust, wie bei den meisten Theaterschaffenden. Das Eine ist ein kompromissloses Ausloten der eigenen Ideen und das Andere ist eine gewisse Wirtschaftlichkeit, der man Sklave ist. Die Prämisse unseres Kulturlabors ist es, Dinge auszuprobieren. Dennoch muss ich Stoffe wählen, die am Ende finanziert werden. Stets die Balance zwischen der Ideenumsetzung und der Wirtschaftlichkeit eines Projekts zu halten ist aber ein sehr bekanntes Problem in der Theater-und Kunstwelt. 

Trailer „Draußen vor der Tür“ (2019). Regie: Alexander Ourth

Erhöht sich der Druck, wenn man freischaffend arbeitet? 

Es ist etwas anderes. Ich bin immer mal wieder Gast und war lange selbst fest, und da verspüre ich den Druck natürlich viel mehr. In meiner Zeit am Stadttheater kam es selten vor, dass ich das Gefühl hatte etwas zu machen, bei dem ich mir selbst treu war. In der Retrospektive betrachtet oder wie Enzensberger sagt „mit dem Rücken zur Zukunft“ ist die Gründung des Kulturlabors nur möglich gewesen, weil ich mich künstlerisch sehr unterdrückt gefühlt habe. Jetzt genieße ich beide Welten: In der freien Szene kann ich Projekte machen, die man so nie am Stadttheater realisieren würde und ich genieße es, als Gastschauspieler die Verantwortung abzugeben und zu sagen: „Hier bin ich mit meiner Seele. Was soll ich tun?“. 

Das klingt ja sehr faustisch…
Wann wurde die digitale Kunst für Sie relevant?  

Das war ganz früh. Ich bin in einem Freundeskreis aufgewachsen, den man als hochgradig Computer „nerdifiziert“ bezeichnen müsste. Ich selbst empfand mich nie sehr bewandert auf diesem Gebiet, aber meine Freunde haben mir immer viel gezeigt. 

Zur digitalen Kunst bin ich dann über die Kampfchoreografie gekommen. Noch während der Schauspielschule habe ich begonnen, Fechten zu unterrichten und Fechtszenen zu choreografieren. Diese wollte ich aufzeichnen. In den späten 90ern war das aber mit den Aufzeichnungen aber noch so eine Sache. Alles wurde auf Tapes aufgenommen und war sehr kompliziert. Aber Freunde von mir haben das studiert und mir dabei geholfen, aber in Form von Hilfe zur Selbsthilfe. Dadurch hatte ich von Anfang an weniger Berührungsängste dem Thema gegenüber. 

Als ich dann später begonnen habe selbst zu inszenieren, war ich in der Verlegenheit kein Geld für Bühnenbilder zu haben. Da ich aber früher ein fanatischer Tänzer war und in diesem Bereich Videotechnik bereits zum Einsatz kam, habe ich angefangen, mich damit auseinanderzusetzen. Also Räume zu kreieren, zu definieren und diese Projektionsflächen zu nutzen, um andere Welten, innere Welten, Assoziationen zu schaffen. 

Die Interaktivität der digitalen Kunst ist sehr interessant. Wie können Projektionen die seelische Beschaffenheit von Figuren wiedergeben; wie können Räume zerfließen oder auseinanderbrechen? Das finde ich faszinierend! Und da ich anfangs nicht das Geld hatte, jemanden für die Umsetzung zu engagieren, habe ich zum Beispiel lernen müssen selbst zu programmieren. Es war mir schnell klar, dass das, was ich wollte, nicht durch ein vorproduziertes Video möglich ist. Ich brauchte Sensoren, um die Bewegungen der SchauspielerInnen aufzunehmen; ich brauchte Algorithmen, um diese Daten in Bilder umzubauen. Der Weg war steinig und ist es noch immer. 

Tanzstück von Hannah Ma. Medienkunst: Alexander Ourth.

Also interessieren Sie sich für das Video, die digitale Kunst als eine Art zusätzlichen Erzählstrang? 

Ja, das stimmt; es ist ein narratives Element. Allerdings habe ich mich davon in letzter Zeit immer mehr emanzipiert, als ich merkte, dass das als Mittel für mich plötzlich zu unüberlegt wurde. Wenn ich ein Stück las, kamen mir sofort zahlreiche Ideen für eine digitale Umsetzung. Aber ich wollte dann eigentlich wieder den Schritt der Einschränkung gehen. Ich glaube, die Einschränkung ist oft ein großer Vorteil. Einfach einmal zu sagen: „Nein, dieses Mal arbeite ich nicht mit Video, sondern mit Klangkunst und sehe, was mir damit für Welten eröffnet werden.“. 

Videoprojektionen sind in der Regel sehr bildhaft und dazu trägt auch eine gewisse Körperlichkeit der DarstellerInnen bei. Daher sind meine Inszenierungen auch sehr körperlich. 

Haben Sie die Befürchtung, dass die Entwicklung digitaler Projekte eingestellt wird, sobald Theater-und Opernhäuser wieder normal spielen können? 

Ich glaube schon, dass es in Zukunft weniger digitale Angebote geben wird und ich finde es gut, wenn wir wieder zurück auf die Bühnen kommen können. Mein Wunsch ist aber, dass wir die erarbeiteten Technologien nicht ganz aufgeben und diesen Weg weitergehen. Allerdings befürchte ich, dass dafür die Kapazitäten fehlen. Ein Stadttheater, das jetzt diesen digitalen Weg eingeschlagen hat und wieder in sein normales Tagesgeschäft zurückgeht, müsste zusätzliche Gelder haben, um noch andere Formate zu entwickeln. Das ist natürlich sehr schade, denn gerade kann ich jeden Abend in ein anderes Theater schauen und digital von Berlin nach Hamburg reisen. 

Also, es gibt hier klar einen Vorteil, aber ich glaube, dass die „Produkte“ besser, spannender oder fesselnder werden müssen. Da liegt aber noch sehr viel Arbeit vor uns. 

Der Untergang der Titanic – Digitales Theater
*
Von und mit
Alexander Ourth, Projektleitung
Elke Reiter
Stephan Vanecek
Hannah Ma
Judith Kriebel
Sebastian Gasper

Zu Alexander Ourth

Alexander Ourth wurde 1978 in Oberndorf bei Salzburg geboren. Sein Vater Georges Ourth (Schauspieler & Regisseur) und seine Mutter Renater Rustler-Ourth (Schauspielerin & Regisseurin und Theaterleiterin) arbeiteten zu dieser Zeit am Salzburger Landestheater und leiteten die Elisabethbühne, dem heutigen Schauspielhaus Salzburg. Bereits als Kind stand er in verschiedenen Rollen auf der Bühne. In der Kindheit wurzelt auch seine Affinität zu verschiedensten eropäischen und fernöstlichen Kampfkünsten, die ihn später auch zur Kampfchoreografie führte. Nach der Matura begann er mit der Schauspielausbildung in Salzburg und schloss 2001 mit der Bühnenreifeprüfung der Paritätischen Komission in Wien ab. Parallel zum Engegament am Schauspielhaus Salzburg begann er mit intensivem Tranztraining, Körperarbeit und unterrichtete Bühnenkampf und -Fechten. Bis heute ist der körperliche Aspekt der Schauspielkunst für ihn ein wesentlicher Punkt.

Zwischen 2001 und 2004 war er am Schauspielhaus Salzburg engagiert, dann wechselte er ans Theater Trier. Seit 2009 lebt er als freier Schauspieler und Regisseur in Trier.

2009 gründete er die freie Gruppe Kulturlabor in Trier, wo er sich vorallem mit der Integration neuer Technologien und Digitaler Kunst in klassische Schauspielproduktionen beschäftigt. Dazu erschloss er sich einige theaterunüblichen Fähigkeiten: Software-Entwicklung und Programmierung, Videografie, Fotografie, Bildbearbeitung und -manipulation. Für das noch nicht realisierte Projekt „Sandmann“ schrieb er eine Künstliche Intelligenz, die Texte in der Sprache der Romantiker nachahmt. In vielen seiner Inszenierungen entwickelt er die Projektionen und das Sound-Design selbst, und begleitet die Vorstellung als VJ. Ausserhalb des Theaters entwickelt er Medien-Installationen und Performances, zum Beispiel Fassaden-Projektionen.

Foto. A. Ourth

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