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Interview mit Barbara Engelhardt, Kuratorin des Theaterfestivals Premières

Das Festival Premières bietet Nachwuchsregisseuren aus ganz Europa nun schon seit 10 Jahren ein Sprungbrett in die Theaterwelt. Die Kooperation zwischen den beiden Straßburger Institutionen Le Maillon und TNS und dem Badischen Staatstheater in Karlsruhe ist eine Erfolgsgeschichte der europäischen Zusammenarbeit. Wir haben mit der Mitbegründerin und Kuratorin von Premières, Barbara Engelhardt, gesprochen.

Wie sind Sie zum Theater gekommen und wie kam es, dass Sie vom Theater-Journalismus zum Kuratoren-Beruf wechselten?

Ich habe nach dem Studium bei Theater der Zeit als Redakteurin angefangen. Theater der Zeit ist eine Zeitschrift, die 1947 in der Ostzone in Berlin gegründet wurde, also Geschichte hat. Als ich nach der Wende dazu stieß, war ich die Einzige, die aus dem Westen kam. Wir haben die Zeitschrift internationalisiert, da DDR-Magazine natürlich eine sehr starke Bindung zu den osteuropäischen Ländern hatten. Gleichzeitig haben wir einen Theaterverlag gegründet. Die Verbindung zwischen Praxis und Theorie war also auch innerhalb dieser redaktionellen Arbeit gegeben. Ich wollte eigentlich nur eine kurze Pause von dieser Arbeit machen und bin dann aber in Frankreich hängen geblieben, weil man mir anbot das Festival Le Standard idéal an der MC93 de Bobigny in der Nähe von Paris zu kuratieren und kurz darauf im Jahr 2004 hier Premières mitzubegründen.

 

Woher stammt Ihre enge Verbindung zu Frankreich?
Mein Mann ist Franzose, ich habe unter anderem Französisch studiert und ein Jahr in Frankreich verbracht. So gab es auch außerhalb des privaten Bereichs fachliche Interessen an Frankreich.

 

Das Festival hat sich in der europäischen Theaterlandschaft einen Namen gemacht.

 

Aus welcher Motivation heraus wurde Premières 2005 ins Leben gerufen? 
Als Bernard Fleury der neue Direktor vom Maillon wurde, überlegte man sich, was man mit der speziellen Theatersituation in Straßburg anfangen könne. Fleury ist jemand, der in Synergien denkt, sofort auf potentielle Partner zugeht und Interesse daran hatte, Projekte mit dem TNS zu entwickeln. Daraufhin habe ich ein Konzept erarbeitet, das die Internationalität des Maillons berücksichtigt und die Spezialität des TNS. Das TNS hatte damals eine der ganz wenigen Theaterschulen in Frankreich, die eine Regieausbildung anbieten. Das derart kombinierte Festivalkonzept jährt sich jetzt zum zehnten Mal. Frankreich ist ein sehr Theater-offenes Land. Es zeigt sehr viel internationale Arbeiten und Künstler. Dennoch ist Premières das einzige Festival, das sich auf den europäischen Regienachwuchs konzentriert. In der Europastadt Straßburg war das Interesse daran, einen europäischen Horizont zu schaffen von Anfang an da, auch das Interesse des Publikums. Das Festival hat sich in der europäischen Theaterlandschaft einen Namen gemacht. 

 

Wie gehen Sie vor, wenn Sie die Nachwuchsregisseure auswählen? Haben Sie bestimmte Kriterien?
Es gibt zunächst das Nachwuchs-Kriterium. Die Künstler oder die Kompanien haben nicht mehr als fünf Arbeiten nach Abschluss ihres Studiums oder ihrer Ausbildung in einem professionellen Rahmen erarbeitet. Das ist der Ausgangspunkt.

 

Das Alter spielt bei einem Nachwuchsregisseur jedoch keine Rolle oder?
Nein, das hat nichts mit dem Alter zu tun. Wir hatten schon öfter Künstler zu Gast, die aus anderen Bereichen kommen oder bisher als Schauspieler am Theater gearbeitet haben und plötzlich das Bedürfnis hatten, die Seiten zu wechseln und als Regisseur das Heft in die Hand zu nehmen. Deren künstlerische Suche ist dann oft mit der persönlichen Dringlichkeit von Themen und Formvorstellungen im Theater verbunden. Das andere ist, dass man über die Jahre hinweg ein Netzwerk aufbaut und gezielt dort sucht, wo der Nachwuchs tatsächlich gefördert wird. Diese Theater steure ich sehr konkret an, um mir Sachen anzuschauen, das heißt ich reise sehr viel. Ich lasse mich aber auch gerne von Dossiers überzeugen, die mir die Künstler schicken. Sie vermitteln mir eine erste Idee, sodass ich, auch wenn ich die Sprache nicht verstehe, weiß, welcher Ansatz dahintersteckt und ob ich es mit einer relevanten Fragestellung zu tun habe, die womöglich auch vom Publikum geteilt wird.

 

Es ist schön, wenn ein Echo entsteht, das auch für das Publikum lesbar ist.

 

Hat sich das Festival über die Jahre verändert, auch bezüglich der Themen die gezeigt werden?
Es ist kein Festival mit einem thematischen Überbau. Aber natürlich kristallisieren sich immer wieder Fragen heraus, die sich über die Länder hinweg ähneln. Es ist schön, wenn ein Echo zwischen den Produktionen entsteht, das auch für das Publikum lesbar ist. Es gibt bestimmte, von der Aktualität und von dem politischen Bewusstsein geprägte Themenkomplexe, die immer wieder auftauchen. Die jungen Künstler vergewissern sich oft: Was ist mein eigener Erfahrungsraum, aus dem heraus ich Theater mache? Wie verbinde ich mein persönliches Bewusstsein mit den größeren und allgemeineren Überlegungen, die den eigenen Horizont überschreiten und dadurch auch eine andere Aussagekraft erhalten?

 

Auch dieses Jahr stechen viele aktuelle Themen heraus, wie zum Beispiel Sterbehilfe.
Genau, es geht immer wieder um aktuelle Themen. Die jungen Künstler müssen noch keine genauen Analysen der politischen Lage liefern können, aber sie sollten dazu einladen, sich mit bestimmten Fragen auseinanderzusetzen. Dies verleiht dem Theater Relevanz. Es ist schließlich eine der künstlerischen Formen, die auf spielerische und vielfältige Weise den Finger in die Wunde legen kann und im Publikum dazu anregt, sich mit bestimmten Dingen auseinanderzusetzen.

 

„Theater kann den Finger in die Wunde legen.“

Welche regionalen Unterschiede gibt es bei den Nachwuchsregisseuren des aktuellen Festivals?
Premières zeigt ganz klar auf, wie unterschiedlich Theater innerhalb Europas gemacht wird. Mit welchen Traditionen, mit welchen Spielformen, mit welchem Verständnis der eigenen Rolle als Regisseur, die Künstler ans Werk gehen. Diese Vielfalt ist ein Spiegel der regionalen Möglichkeiten und Arbeitsbedingungen. Jeder kommt mit seiner eigenen Geschichte und einer bestimmten Ausbildung und setzt sich mit landesspezifischen Traditionen und Strukturen auseinander. Die Regisseure greifen auf unterschiedliche Theaterströmungen zurück, mal dominiert Performancekultur, mal dominieren Schauspielweisen klassischer Konzepte, wie Stanislavski. In dieser großen, manchmal auch erstaunlichen Diskrepanz, liegt der Mehrwert des europäischen Theaters. Mittlerweile wissen allerdings durch die globale Vernetzung auch alle, was die anderen machen.

 

Sind die besagten regionalen Unterschiede stark aufgefallen, als das Badische Staatstheater 2013 einstieg? Gab es Diskrepanzen, die für die Zusammenarbeit zwischen TNS, Le Maillon und Badischem Staatstheater abgestimmt werden mussten?
Die Annäherung auf der Ebene der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit war sehr lehrreich. Es gibt rein strukturell unglaublich große Unterschiede in den Funktionsweisen des deutschen und französischen Theaters. Inhaltlicher Art war aber keine Abstimmung nötig, da das Badische Staatstheater bereits wusste, an was es andockt. Das Konzept des Festivals hat sich nicht verändert. Die Tatsache, dass ich für beide Seiten das Programm verantworte, schafft natürlich auch eine konstante Linie.

 

Man sollte sich auf das stürzen, was einem fremd ist.

Auf der Pressekonferenz wurde „maximal regional, maximal international“ als Motto genannt.
Das hat Intendant Peter Spuhler gesagt und es ist seine Devise für das Badische Staatstheater. Das ist nicht das Motto des Festivals. Das deutsche Stadttheater hat selten die Möglichkeit, international zu arbeiten. Es lebt vorrangig aus der eigenen Kreativität mit einem eigenen Ensemble. Somit ist es außergewöhnlich, dass Karlsruhe mit dem Festival ein Fenster nach Europa öffnet. Gleichzeitig haben wir es mit einem lokalen Publikum zu. Sich dessen bewusst zu sein ist eine Grundvoraussetzung dafür, dass so ein Festival greifen kann.

 

Gibt es ein Stück, dass für Sie besonders wichtig ist?
Alle haben einen Grund bei diesem Festival dabei zu sein. Dies ergibt sich, wenn man das Angebot des Marathons wahrnimmt und möglichst viele Sachen sieht. Es geht nicht um einen Vergleich, wer besser oder wer schlechter ist, sondern um die Erfahrung, wie verschiedene Länder arbeiten und auf bestimmte Themen zugreifen. Die Künstler stehen alle noch am Anfang einer Theaterkarriere, doch sie zeigen schon starke Handschriften, mit denen sie sich größtenteils – das beweist die Geschichte des Festivals – auch durchsetzen werden. Man sollte sich auf das stürzen, was einem fremd ist und sich nicht zurückwerfen auf das, was man zu kennen meint.

Das Interview führte Sarah Obertreis.

Foto © Alexandre Schlub

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