Website-Icon szenik

Interview mit Adriana Almeida Pees, künstlerische Leiterin und Kuratorin Tanz am Theater Freiburg

 

FOKUS FRANKREICH

In der Spielzeit 2018/2019 legt das Theater Freiburg unter der künstlerischen Leitung der Kuratorin für Tanz, Adriana Almeida Pees, ein besonderes Augenmerk auf französische Künstler*innen. Unter diesem Fokus werden sechs stilistisch verschiedene Arbeiten von unterschiedlichsten Choreografen*innen und Tänzer*innen gezeigt. Warum die Wahl auf Frankreich fiel und was das Besondere dieser Fokusierung ist, berichtete uns Adriana Almeida Pees persönlich.

 


///////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////

 

Was war der ausschlaggebende Aspekt einen Fokus auf Frankreich zu legen? – Geht es Ihnen um die Nachbarschaft der anknüpfenden Länder? – Welches Interesse verfolgen Sie dabei?

Der ausschlaggebende Aspekt für diese Auswahl liegt in der Qualität der künstlerischen Arbeiten. Der Fokus hat sich überhaupt erst ergeben, weil ich so viele hervorragende Choreografien in Frankreich gefunden habe. Mein Interesse, diese Zusammenstellung auch als „Fokus Frankreich“ in Freiburg zu präsentieren, lag dann darin, in Deutschland die Grundlagen dafür zu vermitteln, wie so qualitativ hochwertiger Tanz an so vielen Orten in einem Land überhaupt erst entstehen und wachsen kann.

Seit Jahrzehnten fördert Frankreich, etwa mit seinen 19 Centres Choréographiques Nationaux (CCN), die nachhaltige Entwicklung dieses Genres, oder mit seinen kuratierten CDCN die nationale Sichtbarkeit und den internationalen Austausch von Tanz. Das ist weltweit beispielhaft.

 

Wie ist die Auswahl auf diese sechs Stücke gefallen?

Mich interessiert die Unterschiedlichkeit und Vielfältigkeit von Ästhetik und Praktiken im Tanz. Wir haben mit der großen, weltberühmten Ballettkompanie von Angelin Preljocaj begonnen, dessen neue Arbeit wir koproduziert und unmittelbar nach der Uraufführung in Lyon als zweiten Spielort überhaupt im Großen Haus des Freiburger Theaters gezeigt haben. Der ganze Saal hat getobt und stehend applaudiert.

 

Am anderen Ende dieses Spektrum steht dann zum Beispiel die Arbeit von Radhouane El Meddeb, A mon père, une dernière danse et un premier baiser, die wir im Februar im Kleinen Haus zeigen. Dieser tunesisch-französische Choreograph kommt aus dem Bereich der Bildenden Kunst und interessiert sich weniger für die körperliche Virtuosität und Präzision eines Preljocaj, sondern mehr für plastische und emotionale, individuelle und biografische Narrationen und Bilder des Körpers und seiner Bewegung im Raum.

Dazwischen liegen im Großen Haus die Deutschlandpremieren französischer Choreografen: Arbeiten von Adrien M & Claire B, die in Le Mouvement de l’air digitale und darstellende Kunst zusammenbringen; von Yuval Pick, mit dem ich kontinuierlich zusammenarbeite und jedes Jahr eine Arbeit in Freiburg zeige, und von Sarah Baltzinger, einer ganz jungen und vielsprechenden Choreografin, die in Fury mit Live-Musik und Installationen, hochrhythmisierter Intensität und Hybridität die Frage nach unserer Identität im maximal beschleunigten 21. Jahrhundert stellt. Das ist extrem zeitgenössisch.

 

Im Kleinen Haus zeigt Noë Soulier im Frühjahr seine jüngste Arbeit, die wir auch koproduziert haben, The Waves (vormals: „From Within“). Darin verbirgt sich ein philosophischer Ansatz, der an Körper, Geist, Gesten und Bewegungsimpuls ganz grundsätzliche Fragen stellt. Genial.

 

Sie sind seit 2018 neuer Partner des Netzwerks RÉSEAU GRAND LUXE*. Damit erweitern Sie Ihren Austausch an Künstlern/innen und Spektakeln mit der kompletten Region Grand Est.
Wie sieht Ihre Hilfe in administrativer und dramaturgischer Sicht aus?
Zunächst einmal hilft das Netzwerk dabei, sich andere Strukturen und Arbeitsmöglichkeiten, die in den Nachbarländern vielleicht üblicher als im deutschen Stadt- und Staatstheatersystem sind, überhaupt vorzustellen und erste Schritte in der eigenen Struktur zu unternehmen, wie funktionale Erweiterungen des Aktionsradius zu implementieren. Ein solcher Austausch muss natürlich wachsen, es gibt uns ja erst seit 2015.

 

Und die Entwicklung eines solchen Netzwerks hängt stark auch von den Persönlichkeiten ab, die die Partnerorganisationen vertreten. Wir treffen uns regelmäßig und tauschen uns über die besten Möglichkeiten aus, den Tanz an unseren Theatern und Produktionshäusern, in unseren Städten und Regionen zu stärken. Das betrifft das Publikum ebenso wie Künstlerinnen und Künstler, die zwischen unseren Häusern zu „rotieren“ beginnen. Allerdings nicht wie bei einer pauschalen Rundreise; hier tritt jeder Künstler in Kommunikation mit einem spezifischen Haus, je nach Bedürfnis und Interesse, auf. Diese Künstler begleiten wir gemeinsam.

 

Wie bildet das Theater Freiburg einen Ansprechpartner für die regional-grenzüberschreitenden Künstler/innen?
Die regional-grenzüberschreitenden Künstlerinnen und Künstler sind ja eher noch eine Chimäre. Anstatt ein Sammelbecken für unsere Städte und Regionen zu sein, versuchen wir, bestimmte Künstlerinnen und Künstler, zum Teil auch gar nicht in unseren Regionen ansässige, in unser Netzwerk einzubinden und ihnen die grenzüberschreitende Region nahezubringen. Als Produktions- und Aufführungsort, aber auch als Inspirationsquelle und Resonanzraum.

 

Wie funktioniert Ihre Partnerschaft mit Grand Est bzw. dem RÉSEAU GRAND LUXE in Produktion und Vermittlung der Stücke?
Es gibt Projekte, die wir gemeinsam koproduzieren oder sogar mitinitiieren. Die entstehen, weil wir Vorschläge der einzelnen Partner bzw. aus den einzelnen Ländern im Netzwerk diskutieren und sie auf ihr spezifisches Potential oder ihre Notwendigkeit in Bezug auf das Netzwerk überprüfen.

So entstehen manchmal auch erstmal Residenzformate und Work in Progress-Projekte, die nicht gleich dem Druck unterliegen, fertige Aufführungen zu produzieren. 2017 gab es erstmals auch eine „Plate-forme professionelle du Reseau Grand Luxe“ in Luxemburg, wo einige Künstlerinnen und Künstler, die wir uns zu begleiten entschlossen haben, ihre Arbeiten und Projekte vorgestellt haben.

Gibt es etwas worauf Sie sich im Fokus Frankreich besonders freuen, bzw. ist Ihnen ein Spektakel, ein/e Künstler/in besonders wichtig nach Freiburg zu bringen?
Alle!

 

 

  Foto: Britt Schilling

—————————————————————————-

Sechs stilistisch unterschiedliche Arbeiten im FOKUS FRANKREICH:

 

Gravity / Gravité 

27 September 2018 19:30

 

Angelin Preljocaj unternimmt mit seiner neuen Kreation eine Reise in die Physik und macht ihre Gesetze zur Gravitationskraft zum Tanzpartner und Gegenstand seines Werkes. Freuen Sie sich auf die Umsetzung faszinierender Fragen und Gesetze, die uns in ihren Bann zieht und für kräftigen Applaus sorgt!   

Foto: Jean-Claude Carbonne

 

Le mouvement de l’air 

12 Oktober 2018 19:30

 

Adrien Mondot und Claire Bardainne, Co-Direktoren der Kompanie Adrien M et Claire B, haben ihre Talente und Kompetenzen, aber auch ihre Träume vereint, um ein Spektakel mit einer poetischen Dimension zu kreieren, bei dem die Grenze zwischen Virtuellem und Realität  verschwinden zu scheint.

Foto: Romain Ètienne

 

Acta est fabula 

16 November 2018 19:30

 

Zugehörigkeitsgefühle in einer Welt voll Individuen Identitäten die in ihrer Definition ineinander verschwimmen, sich dadurch mehr abgrenzen wollen und gleichzeitig versuchen eine Nähe zur Toleranz zu schaffen? Yuval Pick lässt Hymnen und Lieder erklingen, die von einem gemeinsamen Ursprung zu einer kollektivenSache wurden.

Foto: Laurent Philippe

 

Fury 

12 Januar 2019 19:30

 

Inspiriert von Dantes Göttlicher Komödie  kreierte Sarah Baltzinger dieses Stück für sechs Tänzer und einen Musiker, eine Metapher der steten Unruhe unserer zeitgenössischen Leben, die auf unterschiedlichen Trieben, wie dem sexuellen, basieren. So fällt es schwer gleichmäßig und ruhig zu atmen, währenddessen die Tänzer in einem energischen Rhythmus alle Kraft aus sich herausholen. 

Foto: Andre Nitschke

 

À mon père, une dernière danse et un premier baiser

22 Februar 2019 20:00

 

À mon père, une dernière danse et un premier baiserist eine posthume Hommage, ein friedliches Adieu vom Sohn an den Vater. Mit nacktem Oberkörper, beinahe während des ganzen Spektakels mit dem Rücken uns gewandt, entwickelt Radhouane el Meddeb minimalistische Formen, Gesten und Worte drücken die Geheimnisse des Körpers in der mühsamen Trauerarbeit aus.

Foto: Agathe Poupeney

 

The Waves (vorheriger Titel From Within) 

10 Mai 2019 20:00

 

Wie Wellen können Bewegungen und Handlungen ausschlagen. Noé Soulier ergründet in seinem Stück wie sich eine Bewegung auf eine andere beziehen kann. Die Tänzer*innen treffen über vereinfachte Regeln Entscheidungen und verändern dabei den kompletten Bewegungsapparat.

Foto: Pierre Ricci

 

*RÉSEAU GRAND LUXE: ist eine Plattform der fünf Gründungsstrukturen (Grand Studio in Brüssel, CCN – Ballet de Lorraine, Ballet de l’Opéra national du Rhin – Centre chorégraphique national de Mulhouse, POLE-SUD – Centre de développement chorégraphique national de Strasbourg und TROIS C-L – Centre de Création Chorégraphique Luxembourgeois), die den künstlerischen Austausch von Choreographen*innen unterstützen sowie Teams bündeln, um künstlerische Projekte aus ihren Gebieten zu festigen, die in einem bestimmten Entwicklungsstadium eine spezifische und angepasste Unterstützung erfordern.

 

 —————————————————————————

Weitere Informationen erhalten Sie auch über die Homepage des Theater Freiburg

www.theater.freiburg.de

 

Interview von Dominique Suhr

Die mobile Version verlassen