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«Ich will verstehen…»

Falk Richter, brillanter Autor und Regisseur des deutschen Theaters arbeitet dieses Jahr mit dem TNS zusammen. An der Seite von Stanislas Nordey, Direktor, Regisseur und Schauspieler des strasbourger Theaters, schreibt er zur Zeit Je suis Fassbinder.  Ein einzigartiges, undefinierbares Stück, in dem die Bezüge zu Rainer Werner Fassbinder und zur Aktualität ohne Zweifel allgegenwärtig werden.

Falk Richter wurde 1969 in eine wohlhabende, bürgerliche Familie in Hamburg geboren. Ein Milieu mit Regeln und Strenge, in welcher jegliches Umdenken kritisiert wurde, so Rainer Werner Fassbinder, führender Filmemacher des deutschen Kinos der 60er/70er Jahre. Von seinen Eltern wurde dieser als „Terrorist“ bezeichnet und wurde augenblicklich umso faszinierender für Falk Richter. Nach einer Retrospektive, die ihn besonders berührt hat, entscheidet Richter sich dem Theater zuzuwenden und tritt der Schauspiel -und Regieschule in Hamburg bei. Seit 1994 arbeitet er für eine Vielzahl renommierter nationaler und internationaler Theater, nicht zuletzt für das Deutsche Schauspielhaus in Hamburg, das Maxim Gorki Theater und die Schaubühne in Berlin, die norwegische Oper in Oslo, die Toneelgroep in Amsterdam, das Théatre national in Brüssel oder auch für das Festival d’Avignon.

Mehr als nur ein Regisseur, Falk Richter ist auch Schriftsteller. Mit seiner spitzen Feder, mischt er Poesie mit Politik und wirft einen prüfenden Blick auf seine Umwelt. „Ich schreibe nun schon seit 20 Jahren und meine Vorstellungen haben sich mit den Jahren verändert. Das Schreiben ist Teil meines Lebens. Mein Text, das bin ich. Alles was mir im Leben passiert verwandelt sich in Schriften. Sie sind persönlich und politisch.“
Seine Stücke sind Objekte der Bewegung, die dazu anregen nachzudenken und sich Fragen zu stellen über die Welt, die sich im fortwährenden Wandel befindet. Zeuge einer brennenden Aktualität, sind seine Stücke in mehr als 30 Sprachen übersetzt und werden in der ganzen Welt gespielt. Von einer politischen Propaganda durch Manipulation der Medien getragen in Hôtel Palestine, hin zum zerstörerischen Unternehmensdruck des Individuums in Unter Eis, über unsere übermedialisierte Gesellschaft in Dieu est un DJ, die Aktualität nährt Falk Richter. Sein Theater bleibt dennoch persönlich mit einer wichtigen Partie Autofiktion. Weit entfernt vom dokumentarischen Theater; Richter möchte nicht anprangern, sondern verstehen.

„Ich beginne immer mit dem, was mich am meisten interessiert zu einem bestimmten Zeitpunkt. Ich möchte die Welt in der ich lebe verstehen, ich möchte verstehen wie unser politisches System funktioniert, genauso unsere Wirtschaft und wie das System die Menschen bestimmt, die ein Teil davon sind, wie  die Gedanken und Gefühle der Menschen dem System angepasst werden (…). Ich verstehe mich als Chronist meiner Zeit, ich mache die Arbeit eines Seismografen und frage mich: Wie entwickelt sich, in unserer Gesellschaft, die Art zu denken, zu fühlen, zu kommunizieren? Welchen Unsicherheiten, welchen neuen Pflichten sind die Menschen in komplexen, westlichen Gesellschaften ausgesetzt? Welche Wünsche bewegen sie, welche Ängste? Was ist ihre Vorstellung von Glück?“

 


Stanislas Nordey und Falk Richter ©Jean-Louis Fernandez

Seit Januar 2015 ist Falk Richter ein Teil des Projekts des TNS, in dessen Rahmen er bereits Small Town Boy präsentiert hat und zur Zeit mit Stanislas Nordey an Je suis Fassbinder arbeitet, ab dem 4. März im TNS. Eine natürliche Zusammenarbeit zwischen den beiden Männern, welche die gleiche Vision des „frontal“-Theaters teilen und sich mit ähnlichen Fragestellungen zur heutigen Gesellschaft befassen.

„Wir streben beide danach uns dramatisch mit Gesprächen, politischen und gesellschaftlichen Konflikten von heute zu befassen und das auf eine persönliche, poetische und radikale Art und Weise, um auf politische Diskussionen mit den Möglichkeiten der Kunst zu reagieren. Ich bin für ein Theater, welches sich immer an den dringenden, sozialen Fragen beteiligt. Stanislas ist zum einen ein sehr guter Freund und des weiteren ein künstlerischer Partner, der mir Mut macht, mich herausfordert, provoziert und mir gute Gelegenheiten bietet meine Ideen zu konkretisieren.“


Stanislas Nordey und die Schauspieler von Je suis Fassbinder ©Jean-Louis Fernandez

Für Je suis Fassbinder, ein Werk durch vier Hände geschaffen, ist der Text noch nicht geschrieben, er wird sich während der Theaterproben entwickeln, um so genau wie möglich der Aktualität und Epoche zu entsprechen. Dafür schreibt Falk Richter im Präsenz, inspiriert von der Gegenwart, ihrer Zwänge, den Schauspielern, die ihn begleiten und dem Erbe Fassbinders, der als roter Faden dient. Wie würde Fassbinder heute auf unsere Gesellschaft reagieren? Wie würde er sich gegenüber der Welt positionieren? Was würde er aus dem heutigen Theater machen? Was darf gesagt und gezeigt werden? Rainer Werner Fassbinder, verstorben 1982 mit 37 Jahren, ist eine wichtige Persönlichkeit für Falk Richter und die deutsche Kinolandschaft. Der Regisseur hat um die vierzig Filme gedreht und etwa zehn verschiedene Theaterstücke geschrieben, welche immer ein wachsendes Interesse für politische Diskussionen, soziale Konflikte und die Gesellschaft seiner Epoche aufweisen. Wie ein gewisser Falk Richter zur heutigen Zeit. Ein passionierter Künstler, der fasziniert – schreibt um zu verstehen, inszeniert um sich auszudrücken. (A.M.)

 

Je suis Fassbinder im Théâtre National de Strasbourg :
Am 4 und 5 März um 20h
Am 6 März um 16h
Am 8, 9, 10, 11, 12 März um 20h
Am 15, 16, 17, 18 und 19 März um 20h

 

*Sie finden die vollständigen Zitate auf der Internetseite von Falk Richter
Fotos : Jean-Louis Fernandez

 

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