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Guido Markowitz: Tanz muss eine Stimme haben

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Als einer der erfolgreichen Choreografen der jüngeren Generation in Deutschland war Guido Markowitz‘  Weg in die Welt des Tanzes step by step auf Erfolgskurs. Das DANCE FOR YOU MAGAZINE hat sich nun mit ihm über seinen Werdegang, seine Arbeit im Theater Pforzheim sowie die Sichtbarkeit des Tanzes.

Als Quereinsteiger beginnt er seine professionelle Ballettausbildung erst als Jugendlicher und beschreitet seit damals einen neuen Weg zwischen klassischen Tanzstrukturen und der Bewegungssprache des Tanztheaters. Eine mehrjährige Ausbildung an der Iwanson International School of Dance in München bringt ihm den Abschluss als Bühnentänzer. Es folgen Engagements an den Städtischen Bühnen Münster, als Solist, später auch als Choreograf und Regisseur an das Tanztheater von Birgitta Trommler am Staatstheater Darmstadt, das Tanzhaus NRW in Düsseldorf und das Schauspielhaus Bochum.

Dazwischen lastet viel Arbeit auf den Schultern des Österreichers, die ihm aber auch viel Anerkennung bringt: Knapp 50 Neuschöpfungen für Opern, Ballett-, Schauspiel- und Musicalproduktionen, mehrere davon legen den Schwerpunkt auf die Arbeit mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Entstanden sind unter anderen auch Werke für das Shenzhen Ballett in China und das Saarländische Staatstheater, mit dessen I Move Company er ein Stück  erarbeitet, das zur Teilnahme am 1. Tanztreffen der Jugend 2014 in Berlin delegiert wird und das Festival eröffnet. Markowitz‘ Arbeit ist sehr vielfältig, er wird als emotionaler, bildstarker Künstler beschrieben, der die Bühne beherrscht und hier auch site-specific.

Mit Beginn der Spielzeit 2015/16 tritt Guido Markowitz die Nachfolge von James Sutherland als Ballettdirektor und Regisseur am Theater Pforzheim an. Er führt zurzeit eine vierzehnköpfige Kompanie, die unter anderen auch vom Land Baden-Württemberg gefördert wird.

Im Gespräch mit Micaela Vieru vom DANCEFORYOUMAGAZINE stellt sich schnell heraus, dass es ihm nicht nur um neue, klare Arbeitskonzepte und die Wertschätzung und Förderung für kleine Theater und die freie Szene geht, sondern viel um den Austausch und kreative Prozesse, die weit über die Grenzen Pforzheims übertragbar sind. Auf diese Weise und mithilfe einer guten Vernetzung kann er seinen Ideenreichtum gewinnbringend für die Region einsetzen – auch als Vorstand im „Dachverband Tanz Deutschland“ und der Tanzszene Baden-Württemberg. 

Foto: Nora Kirschmeier

Wie sind Sie zum Tanz gekommen?

Tanz hat mich in meiner Jugend einfach ergriffen. Ich weiß nicht wie und auch nicht warum. Ich war damals ungefähr 14, sah in meiner österreichischen Heimatstadt Villach das Plakat einer Ballettschule, bin hingegangen und habe dort eine tänzerische Vorausbildung absolviert. Als einziger Junge in der Klasse, denn eine tänzerische Ausbildung war damals in Villach nicht so selbstverständlich. Zudem hatte ich großes Glück, auf den vollen Rückhalt meiner Familie zählen zu können.

Wie man sieht, hat sich das gelohnt, das zeigt die Liebe, die Sie für den Tanz entwickelt haben.

In der Tat, ich bin so dankbar, dass das Schicksal mir den richtigen Weg gezeigt und es mit mir so gut gemeint hat. Seit damals ist Tanz für mich eines der wichtigsten Themen, die mich mein Leben lang begleitet werden.

Sie sind bereits Vorstand der Tanzszene Baden-Württemberg, und nach drei Jahren als Ballettdirektor wurden Sie 2019 als Vorstandsmitglied im „Dachverband Tanz Deutschland“ gewählt.

Das war ein absolutes Highlight, als ich letztes Jahr gefragt wurde, ob ich in dem Vorstand tätig sein möchte. Schon ab dem ersten Moment als Ballettdirektor in Pforzheim war es mir wichtig, auch politisch aktiv zu sein. Tanz muss sichtbar sein, Tanz muss man wahrnehmen. Die Gesellschaft muss noch viel mehr sehen, was wir alles leisten. Sowohl in den festen Häusern als auch in der freien Szene. Deswegen fand ich es sehr spannend, im Dachverband präsent zu sein, weil man dadurch etwas mitverändern kann, dafür arbeiten kann, um für junge Leute, die nächste Generation, den Weg zu bereiten.

Wie haben Sie es geschafft, seit 2015 Pforzheims Gesicht durch den Tanz zu verändern?

Ich glaube, der Einstieg war schon der richtige. Wir hatten ein site-specific Projekt in der Stadtkirche, „Heimatwelten“, das war meine erste Produktion und für Pforzheim etwas ganz Neues, eine Tanzpremiere außerhalb des Theaters zu erleben, zudem auch noch mit neuem Ballettdirektor. Doch das kam beim Publikum sehr gut an, das begeistert reagierte und neugierig wurde.

Wir tun auch sehr viel für unser Publikum, haben Initiativen ergriffen, um ihm unsere Arbeit nah zu bringen. Ich mache Backstage-Führungen, um den Leuten zu zeigen, wie eine Choreografie entsteht, wie Tänzer sind. Ich erkläre jedes Mal, wie wichtig Tänzer sind und auf welche Art wir in der Leitung versuchen, ihnen den Boden zu ebnen, damit sie ihre Kunst auf der Bühne umsetzen können.

Die Nähe zum Publikum hat sehr viel ausgemacht. Auch die Tatsache, dass wir rausgegangen sind, überregional mit Sportlern zusammengearbeitet haben, mit Museen, mit unterschiedlichen Künstlern und Veranstaltern, hat sich schnell herumgesprochen. Das hat uns in kürzester Zeit eine große Anzahl an Fans und Inputs gebracht.

Die vier Jahreszeiten I Saison 19/20

Sie setzen die ungewöhnlichsten Ideen um und suchen die ausgefallensten Bühnen für Ihre Auftritte. Über die Stadtkirche ins Schmuckmuseum oder ins Gasometer. Jedes Mal vor ausverkauftem Haus. Was ist Ihre Vision dahinter?

Man sollte nicht vergessen, wenn man aus einem Haus rausgeht, macht man die Türe auf, um neues Publikum zu begrüßen. In einem Museum zu spielen bedeutet, dass viele neue Leute uns sehen und Zugang zu Ballett und Tanz finden. Das gleiche in einem Schwimmbad, die Begegnung mit Sportlern, mit Familien und jungen Leuten, die die Schwimmveranstaltungen besuchen und die nie etwas mit Tanz zu tun hatten. Plötzlich sehen sie, wie spannend Tanz sein kann, und kommen zu uns als neues Publikum. Diese Nähe ist sehr wichtig, um die gesamte Fläche zu bespielen, um Offenheit für den Tanz zu bekommen. Wir zeigen den Zuschauern, dass wir am Puls der Zeit sind und „ihre Sprache“ im Tanz umsetzen wollen. Das funktioniert sehr gut, über alle Generationen hinweg.

Wer hilft Ihnen bei den vielen Aufgaben?

Ich habe ein starkes Team, das mir in organisatorischer und auch künstlerischer Hinsicht zur Seite steht. So meine Referentin und Dramaturgin Alexandra Karabelas, die auch in der Pressearbeit und im Marketing mitarbeitet. Was sehr schön ist: Sie ist ständig im Ballettsaal, um die schöpferischen Prozesse zu beobachten und zu begleiten, damit sie in die Programmhefte und generell die Öffentlichkeitsarbeit ihre Emotionen und Erlebnisse einfließen lassen kann. Der Schweizer Damian Gmür, Choreograf und zugleich Stellvertretender Ballettdirektor, ist ein wahnsinnig guter Trainings- und Probenleiter. Er studiert mit der Kompanie die Choreografien ein und ist derjenige, der die Tänzer UpToDate hält.

Wo finden Sie die Inspiration für Ihre Kreationen?

Tanz zu kreieren ist ein ständiger Prozess, und Tanz als Kunst kann von überall inspiriert werden. Aber meistens entsteht Kunst aus dem Leben. Meine Inspiration kommt überwiegend von den Tänzern. Jeder Körper ist ein eigenes Instrument, und es ist so spannend zu beobachten, was man mit diesen Körpern gestalten kann, wie sie sich entwickeln und wieviel Kreativität in ihnen steckt. Die Themen finde ich meistens durch Zufall, morgens, wenn ich aufwache und fasziniert bin von einem Thema, das ich unbedingt gestalten will. Genau wie das Nachdenken über die Spielorte, das alles flicht sich in einem spannenden Prozess zusammen.

Aus diesem, wie ich ihn nenne, „Zaubertopf“ entnehmen wir, woran am meisten meine Leidenschaft hängt. So war es in den letzten Jahren bei dem Abend „Verwandlungen“, in den ich dann Stravinskys „Feuervogel“ integrierte und gleichzeitig „Metamorphosis“ auf Musik von Philip Glass kreieren musste. In diesem Jahr haben wir Vivaldis „Die Vier Jahreszeiten“ in der Einrichtung von Max Richter.

Feuervogel / Metamorphosis I Saison 18/19

Bekanntlich interessieren Sie existenzielle Themen des Menschen, der Gesellschaft, der Zeit und der Kunst. Können Sie mehr darüber sagen?

Menschen haben Emotionen, und weil ich sehr lange Tanztheater gemacht habe, in dem die Emotion immer ein entscheidender Faktor war, empfinde ich Tanz als eine Möglichkeit, Gefühle herauszulassen. Im Leben gibt es in jeder Situation Momente, die wichtig für einen sind. Und diese Momente zu (er)fassen, emotional im Tanz umzusetzen und auf die Bühne zu bringen, dass das Publikum berührt wird, unsere Leidenschaft verspürt und mit den Tänzern mitfiebern kann, dafür schlägt mein Herz. Weil ich merke, dass die Tänzer auch gefühlsmäßig auf dem richtigen Weg sind, die Form mit Emotion füllen. Das ist für mich einzigartig!

Wie würden Sie Ihre künstlerische Vision bezeichnen?

Es gibt nicht nur eine, es gibt viele Visionen, weil ich in vielen „Töpfen“ drin bin, sowohl im „Dachverband Tanz“ wie hier in Pforzheim als Ballettdirektor. Ich fände es zum Beispiel wichtig, wenn auch Ballettdirektoren Theater-Intendanten werden könnten. Sie haben oft genau die gleiche Qualifikation und sind durch die intensive Arbeit mit Tänzern sehr geschult, zu führen.

Für meine Kompanie in Pforzheim wäre es toll, wenn wir auch an einem Stadttheater die Möglichkeit hätten, mit mehreren Choreografen zu arbeiten.  Das Publikum könnte verschiedene choreografische Handschriften betrachten und auf diese Weise noch mal anderes Wissen um den Tanz aufbauen. Eine große Vision von mir ist schließlich, dass ein kleines Theater genauso stark werden kann wie ein großes Theater. Mit viel Arbeit, viel Schweiß kann man viel schaffen. Ich finde, dass man nie aufhören sollte, an sich und seine Arbeit zu glauben, und vor allem sollte man nie vergessen, woher man kommt, und dass unser Publikum der ganz wichtige Faktor für unsere kreative Arbeit ist.

Ich wünsche mir von daher auch, dass die Arbeit mit dem Projekt „Tanzland Deutschland“ der Bundeskulturstiftung weitergeht, mit neuen Orten, die wir erobern können, dass der Städteaustausch funktioniert und mehr Partnerstädte in Kooperation gehen. 

Speziell für Pforzheim und Baden-Württemberg träume ich davon, einen Kristallisationspunkt, einen Kreationsort, schlicht ein Zentrum für Zeitgenössischen Tanz ins Leben zu rufen. Man soll eben nie aufhören zu glauben!

Foto: Theater Pforzheim

 Interview von Micaela Vieru, in der Ausgabe 01/2020 des Fachmagazins DANCE FOR YOU MAGAZINE erschienen. Vielen Dank!

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