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Gespräch zu „Die Dreigroschenoper“ von Bertolt Brecht und Kurz Weill am Theater Freiburg

Photo: Britt Schilling

Gespräch zwischen Regisseur Hermann Schmidt-Rahmer und Chefdramaturg Rüdiger Bering

Rüdiger Bering: Du hast in Deiner Regielaufbahn lange Zeit keinen Brecht inszeniert. Woran lag das? Hat es sich nicht ergeben oder hast Du diesen Autor gemieden?

Hermann Schmidt-Rahmer: Ich fand seine Stoffe immer toll, aber seine Stücke zum Teil altbacken wirkend. Als wir auf der Suche waren nach einem Stück, das dem Phänomen Trump, Strache, Orban und Konsorten gerecht werden würde, stieß ich auf Die Rundköpfe und die Spitzköpfe und entdeckte einen Text, der als einziger nicht stehenblieb bei der Empörung über das Demagogische, sondern deutlich zeigt, dass das ganze Zeter- und Mordiogeschrei der Populisten häufig nur eine Nebelkerze ist, die dem Wähler das knallhart neoliberale Programm verdecken soll, um das es eigentlich geht. Dieser Text hat mich zu Brecht bekehrt.

Die Dreigroschenoper ©Theater Freiburg

Rüdiger Bering: Die Songtexte der „Dreigroschenoper“ sind sehr zynisch, ätzend, brutal. Aber die meisten von uns hören darüber hinweg. Dir ist es aber wichtig, dass man hinhört, was da gesungen wird. Braucht es dafür einen neuen, ungewohnten V-Effekt? Der soll ja das Gewohnte für das Publikum als das Ungewöhnliche wahrnehmbar machen. Aber an die brechtsche Verfremdung sind Generationen von Theatergängern bereits gewöhnt …

Hermann Schmidt-Rahmer: Der berühmte Verfremdungs-Effekt, von dem bei Brecht immer die Rede ist, ist ja heute auf dem Theater Mainstream. Es bedarf heute sehr hoher Dosen davon, wenn wir wahrnehmen sollen, dass hier etwas verfremdet wird, weil der Naturalismus auf dem Theater kaum noch inszeniert wird. Und was die Musik betrifft, so ist ja der Widerspruch zwischen der Süffigkeit der Musik und deren Hitqualitäten und den brutalen Worten der Texte bereits ein klassischer V-Effekt. Brecht selbst hatte damit durchaus seine Schwierigkeiten, denn er befürchtete, dass seine Texte durch die Musik nicht ironisiert würden, sondern verniedlicht. Die Musik romantisiert das Asoziale sozusagen und lässt uns gemütlich schmunzelnd ein Verbrechertum feiern und ein Elend belächeln, das uns in realistischer Spielweise abstoßen würde. Bei uns liegt der V-Effekt in den beteiligten Opernstimmen. Denn bei uns singt ein Macheath nicht im rauen Sound des klassischen Brecht-Darstellers, sondern Belcanto.


Rüdiger Bering: Was für eine Welt bringst Du gemeinsam mit der Bühnenbildnerin Pia Maria Mackert und der Kostümbildnerin Regine Standfuss auf die Bühne?

Hermann Schmidt-Rahmer: Sie zeichnen unsere Welt als eine Spielmaschine: Menschen begeben sich freiwillig und lustvoll in den Wettbewerb um Gewinn und Betrug, versuchen sich auszustechen, zu hintergehen, zu beseitigen. Der Befund ist, dass wir in den westlichen Konsumgesellschaften uns ja durchaus ungezwungen ins kapitalistische Vergnügen werfen, dabei uns aber immer noch gern als die Opfer eines Systems dazustellen, wenn der Gewinn ausbleibt. Die Alternative des Ausstiegs oder gar die Rebellion wird von uns erst dann in Erwägung gezogen, wenn es uns ausstößt und liegenlässt. Die Figuren sind gut genährt und rundum zufrieden bei uns, und dennoch begeben sie sich in ein Spiel gegenseitiger Vernichtung. Das Bild stellt also die Frage: Warum ist das so?


Die Dreigroschenoper

Bertolt Brecht und Kurt Weill

Regie: Hermann Schmidt-Rahmer

Musikalische Leitung: Johannes Knapp

Premiere: 13.05.2023 im Großen Haus, Theater Freiburg

Musikalische Leitung: Johannes Knapp Regie: Hermann Schmidt-Rahmer Bühne: Pia Maria Mackert Kostüme: Regine Standfuss Mit: Michael Borth (Mackie Messer), Victor Calero (Peachum), Mara Widmann (Celia Peachum, seine Frau), Katharina Ruckgaber (Polly Peachum, seine Tochter), Henry Meyer (Tiger Brown, Polizeichef), Lila Chrisp (Lucy, seine Tochter), Inga Schäfer (Spelunken-Jenny), Lasse Weber (Smith), Lorenz Kauffer (Filch),  Philharmonisches Orchester Freiburg

Über den Regisseur:

Hermann Schmidt-Rahmer reflektiert als Autor und Regisseur soziale und politische Landschaften der Gegenwart. Seine Arbeiten suchen die Schnittstelle zwischen dokumentarischem Material und Unterhaltungstheater. Texte und Inszenierungen wie GESPENSTER DES KAPITALS nach Balzac oder ICH HABE NICHTS ZU VERBERGEN / MY LIFE WITH BIG DATA beschäftigen sich mit der Sozialpsychologie von Finanz- oder Datenströmen. Schmidt-Rahmer realisierte Arbeiten am Düsseldorfer Schauspielhaus, Schauspiel Bochum, Theater Basel, Schauspiel Frankfurt. Mit Elfriede Jelineks RECHNITZ / DER WÜRGEENGEL wurde er nominiert für den deutschen Theaterpreis DER FAUST. Schmidt-Rahmer ist Professor für Szene an der Universität der Künste Berlin.


Theater Freiburg

13.05., 17.05., 21.05., 02.,06., 08.06., 23.06., 01.07., 12.07.

Das Gespräch wurde Szenik vom Theater Freiburg zur Verfügung gestellt und von Szenik ins Französische übersetzt.

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