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Festival Common Places: „Wir möchten die Partizipation als Kunstform feiern.“

Diese Woche findet zum ersten Mal das Festival Common Places statt. Mit Gastspielen, Vorträgen, Workshops und Impulsen laden die OrganisatorInnen zu Diskussionen über Beteiligungsformen im Theater ein. Im digitalen Format stattfindend soll die Partizipation als Kunstform gefeiert und über die Entwicklung partizipativer Ansätze in der darstellenden Kunst gesprochen werden.

szenik hat sich vorab mit den Kuratorinnen Lea Gerschwitz (Matchbox / Kulturbüro der Metropolregion Rhein-Neckar), Beata Anna Schmutz (Mannheimer Stadtensemble / Nationaltheater Mannheim) und Lena Mallmann (Volkstheater / Badisches Staatstheater Karlsruhe) über das Festivalformat, sein Programm und die Veränderungen partizipativer Kunst im deutschsprachigen Raum unterhalten.

➡️ Das Festival findet vom 10. bis 12. März statt. Werfen Sie einen Blick ins Programm und erfreuen Sie sich an diesem reichhaltigen Angebot: www.dringeblieben.de

Wie ist die Idee für das Festival entstanden? 

Lena Mallmann: Es ist ungefähr ein Jahr her und entstand aus der Verbindung des Volkstheaters Karlsruhe zum Mannheimer Stadtensemble. 
Es gab in den vergangenen Jahren immer mal wieder sogenannte Bürgerbühnenfestivals, die aus der seit 10 Jahren aktiven Bürgerbühnenbewegung heraus entstanden sind.

Einerseits war es uns wichtig, diese Plattform für Partizipation und Theater zu nutzen und fortzusetzen; andererseits wollten wir diese „Grenzen“ der Bürgerbühne verlassen und einen Blick auf die Freie Szene sowie über die Ländergrenzen hinaus werfen. 

Beata Anna Schmutz: Gleich nach den ersten Gesprächen haben wir die Partnerliste um zwei Institutionen erweitert: Zum einen um das Theater im Pfalzbau in Ludwigshafen, das sich in einem anderen Bundesland befindet und kein festes Ensemble hat, und zum anderen um das Matchbox-Projekt der Metropolregion Rhein-Neckar, welches im ländlichen Raum agiert. Aus dieser Kooperation ergibt sich eine schöne Bandbreite an diversen Projekten und unterschiedlich funktionierenden Theatereinrichtungen. 

Unser Festival findet im digitalen Raum statt. Dabei war es uns wichtig, Tagungen zum Thema der Partizipation mit einem regen Festivalgedanken zu verbinden.  

Stille Slag (c) Soeren Meisner

Die Produktionen wurden durch einen OPEN CALL ausgewählt. Warum haben Sie sich dafür entschieden?

L. M.: Es war uns wichtig Projekte einzubinden, die aufgrund der Pandemie nur ein paar Mal spielen konnten oder digital stattfinden mussten. Daher haben wir den Open Call so offen wie möglich gehalten und unterschiedliche Bereiche oder Kunstformen zugelassen, die sich vom Thema der „Bürgerbühne“ vielleicht nicht so angesprochen gefühlt hätten. Andererseits war es auch interessant zu sehen, wer seine/ihre Arbeit als „partizipative Kunstform“ definiert und wie dieser Begriff heutzutage verstanden wird. 

Zum einen war uns die Teilhabe und die Beteiligung der SpielerInnen sehr wichtig; zum anderen die ästhetische Komponente. 

Lea Gerschwitz: Im Allgemeinen hat uns der digitale Raum erlaubt, den Open Call weit zu streuen und internationale Positionen einzuladen. Gemeinsam mit den Partnern möchten wir auf das Thema der Partizipation blicken und uns zu ihrer Entwicklung austauschen. Gerade in den letzten zwei Jahren hat sich da so manches getan. 

B. A. S.: Wir haben insgesamt 74 Bewerbungen erhalten, die sich sehr in Form und Genre unterschieden. Darunter waren viele interdisziplinäre Projekte und weniger „klassische“ Inszenierungsarbeiten. So zum Beispiel: Projekte im öffentlichen Raum; Arbeiten, die bildende und darstellende Kunst verbinden; digitale Installationen; Reiseformate; Forschungsprojekte;… 

L. G.: Wir haben tatsächlich einen Kriterienkatalog angelegt, nach dem wir die Gastspiele ausgewählt haben. Das war ein sehr wertvoller Prozess, da wir aus unterschiedlichen Arbeitsstrukturen kommen. Zusätzlich zu inhaltlichen und ästhetischen Fragen hat uns die Modellhaftigkeit von Projekten interessiert. Das heißt: Welche Formate haben Zukunftspotential und können von anderen KünstlerInnen / Institutionen übernommen werden? 

Gibt es Themen, die Sie besonders interessiert haben? Haben Sie eine gewisse Dringlichkeit bei der Behandlung sozialer Fragen gespürt? 

L. M.: Die Relevanz des Themas war tatsächlich ein Kriterium. Die Form der partizipativen Arbeit ist ein gutes Mittel, um gesellschaftspolitisch Stellung zu beziehen oder um unsere Gesellschaft zu analysieren. 

Durch die schwierige Zeit der Pandemie haben viele Projekte eine existentiellere Färbung bekommen. Das lässt sich zum Beispiel an unserer Eröffnungsproduktion „Stille Slag“ aus Dänemark ablesen. In dem Stück geht es um GefängnisinsassInnen (ein für sich schon relevantes Thema). Durch die Abgeschiedenheit und Einsamkeit, in der wir nun alle seit geraumen Monaten leben, gewinnt diese Produktion aber an Strahlkraft. Ihre Intensität verdankt es auch ihrer Form: Ein Teil der PerformerInnen wird sich nur bewegen, währenddessen der andere Teil singen oder sprechen wird. 

B. A. S.: Grundsätzlich orientiert sich partizipative Kunst an Menschen und gesellschaftsorientierten Problematiken. Neben diesem thematischen Schwerpunkt war es uns auch wichtig, Partizipation als Kunstform in diesen Festivaltagen zu feiern, denn sie hat ästhetisch und inhaltlich viel zu bieten. 

L. G.: Wir sind uns der kritischen Blicke auf diese Kunstform bewusst. Daher haben wir an Vorträgen gearbeitet, die diese unterschiedlichen Perspektiven aufgreifen und behandeln. So haben wir zum Beispiel Prof. Dr. Julius Heineke oder Claire Bishop, eine Koryphäe in diesem Feld, eingeladen. Vor zehn Jahren hat sie ihr Buch Artifcial Hells, in dem sie  wertschätzend und zugleich kritisch auf Partizipation in der Kunst geblickt hat, herausgebracht. 

Das Thema des inklusiven Arbeitens findet sich mit den Gastspielen „Besser ist besser“ (Kollektiv i can be your translator) und „Shifting Faces“ (Misiconi Dance Company) sowie in den angebotenen Vorträgen wieder. Es zieht sich durch das ganze Programm: Wir haben versucht über Künstlergespräche hinauszugehen, um bestimmte Themen (z. Bsp. die Arbeitsweisen einer inklusiven Compagnie oder ihre Themenauswahl) zu vertiefen.

L. M.: Im Gegensatz zu den bisherigen Bürgerbühnenfestivals haben wir in unserem Open Call nicht ausschließlich auf reine „Exzellenz“ in der Qualität der Produktionen geachtet. Uns war es vor allem wichtig Projekte einzuladen, die über ihre Felder hinausblicken. Zum Beispiel hinterfragt „Shifting Faces“ Themen der Norm oder der körperlichen Perfektion. 

Shifting Faces – Misiconi Dance Company (c) Sjoerd Derine

Der Austausch soll bei diesem Festival also im Vordergrund stehen. 

B. A. S.: Die Grenzen des Digitalen sind uns natürlich sehr bewusst. Wir stützen uns auf das bekannte Videokonferenz-Format, welches wir mit Livestreams aus dem Studio des Nationaltheater Mannheims und einem Festivalcharakter beleben möchten. Wir hoffen sehr, dass diese Gesprächsformate wirklich zu einem Austausch führen werden. 

L. M.: Im Vergleich zu anderen digitalen Formaten haben wir unsere Innovationskraft nicht unbedingt in die technische Umsetzung gesetzt. Wir wollten bewusst keine Plattform mit Avataren, sondern ein Format, welches es den TeilnehmerInnen erlaubt, sich schnell einzuschalten und bequem zuzuhören (und/oder mitzureden). 

Wir hoffen natürlich, die TeilnehmerInnen miteinander und nachhaltig an diesen Festivaltagen vernetzen zu können. Die von uns zusammengestellten Podien sind ungewöhnlich, da wir auch außerhalb des Theaterrahmens nach Diskussionspartnern gesucht haben. Wir setzen auf die Innovation und die Kombination, die wir in unserem Programm anbieten und die besonders für ein Fachpublikum neu ist. 

L. G.: Eines möchte ich ergänzen: Wir waren sehr über die gute Qualität der uns zugesendeten Aufzeichnungen erstaunt. Vor einigen Jahren gab es nichts Schlimmeres als sich Theater im Videoformat anzusehen. Aber die KünstlerInnen sind mit den digitalen Mitteln umgegangen und haben sich technisch sowie ästhetisch weiterentwickelt. 

Sie laden Gastspiele aus diversen Ländern ein. Welche Veränderungen oder Entwicklungen nehmen Sie im deutschsprachigen Raum wahr, wenn es um Partizipation geht? 

B. A. S.: Ich stelle fest, dass sich partizipative Projekte immer mehr im öffentlichen Raum abspielen und Projekte in ihren Formen / Genres mehr diversifizieren. Die Performancekunst sowie dokumentarische Ansätze gewinnen immer mehr an Raum. Zudem beobachte ich eine Vielzahl an mehrsprachigen Theaterprojekten, was vor ein paar Jahren noch kaum möglich schien. 

L. M.: Ich finde, dass die Beschäftigung mit Fragen der Repräsentation, vor allem im deutschsprachigen Raum, in den letzten Jahren zugenommen hat. Inspirationen werden dafür natürlich in aktuellen Themen oder durch Austauschanlässe im Rahmen von Tagungen oder Vorträgen gefunden. 

Unsere Arbeit mit Jugendlichen und jüngeren Menschen beeinflusst sehr unsere Sichtweise auf Themen der Repräsentation. Diese haben durch ihre Beziehung oder Nutzung sozialer Netzwerke ein anderes Bewusstsein für ihr Auftreten und ihre Identität. Hier lässt sich eine klare Tendenz ablesen: Es geht immer mehr darum, wie man für sich selbst einstehen und im öffentlichen Raum die eigene Sichtbarkeit bestimmen kann. Ich glaube, dass wir damit in Zukunft im positiven wie im negativen Sinne umgehen werden müssen. Diese Tendenz setzt sich auch jenseits der ästhetischen und strukturellen Ebenen fort. Deswegen war uns auch der Programmpunkt zu den Beiräten so wichtig. Es reicht nicht mehr, dass Theaterpartizipation „nur“ im künstlerischen Bereich oder in bestimmten Formaten stattfindet. Es geht viel mehr dabei um die Frage der Legitimation von großen Kulturinstitutionen und zum Beispiel um ein gemeinsames Nachdenken über Formen demokratischer Mitbestimmung. Diese haben natürlich ihre Grenzen, aber wir würden gerne im Rahmen des Festivals darüber sprechen. 

B. A. S.: „Es geht – wie immer – um nicht weniger als die Zukunft des Theaters und die Kritik des Theaters.” So haben wir es im Vorwort unseres Festivalprogrammes ausgedrückt. Es scheint als sei die Partizipation endlich als Kunstform anerkannt. Das ist immer noch nicht selbstverständlich und viele stehen diesem noch kritisch gegenüber – gerade im journalistischen Bereich, wo es regelmäßig an Besprechungen von partizipativen Produktionen fehlt.

Die strukturellen Fragen des Theaters als Institution einer Stadt und kulturpolitische Legimitationsfragen in Verbindung mit partizipativer Kunst sind mittlerweile viel deutlicher zu hören. Es scheint, als eröffne sich in einem solchen Diskurs eine Chance für Partizipation. 

L. G.: Wir sind viel in den Gemeinden der Region unterwegs und laden KünstlerInnen für Residenzprogramme ein. Daher stellt sich die Frage der Legitimierung für uns weniger, weil wir keine Institution, wie das Nationaltheater Mannheim oder das Volkstheater in Karlsruhe, sind. Dennoch gibt es ähnliche Fragestellungen: Zu welchem Projekt arbeiten wir mit welcher Person und was sind unsere Bewegungsgründe? 

Die letzten zwei Jahre waren schwierig, da viele Gemeinden Probleme durch die Pandemie hatten und Kulturförderung kaum möglich war. Jedoch scheint mir das Interesse an der Teilhabe partizipativer Kunstprojekte ungebrochen, sei es bei der Themenauswahl oder der Lust zur Beteiligung am kreativen Prozess. Diese Bestrebung zur demokratischen Mitbestimmung sehen wir auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen. Dies trägt dazu bei, dass partizipative Formen an Anerkennung und Teilnahme gewinnen. 

Ich habe das Gefühl, dass die Verbindung von lokaler und globaler Lebensrealität immer mehr zum Thema wird. Das sehen wir zum Beispiel bei Projekten, die sich mit Fragen zur Landwirtschaft, Migration oder der Umwelt befassen. Diese Verflechtungen sind omnipräsent. Ich glaube, dass partizipative Kunst bei der Bewältigung und dem Verständnis solcher Themen helfen kann. 

L. M.: …und die Komplexität solcher Themen ein Stück weit realitätsnäher abzubilden. Wenn Menschen aus verschiedenen Lebensbereichen am Stückentwicklungsprozess teilnehmen, kann eine vielseitigere Komplexität erreicht werden, als dies zum Beispiel mit einem Schauspielensemble der Fall wäre.  

VERSCHWÖRT EUCH! – Janette Mickan (c) Kira Hofmann

Die Finanzierung partizipativer Projekte scheint immer noch schwierig und hängt oft mit kulturpolitischen Fragen zusammen. Haben Sie das Gefühl, einer politischen Agenda entsprechen zu müssen?

L. M.: Mit unseren Projekten haben wir die Möglichkeit uns über soziale Faktoren finanzieren zu lassen, da wir bestimmte soziale Gruppen zusammenbringen. In Mannheim, Karlsruhe und Ludwigshafen haben wir das Glück eine Grundfinanzierung zu haben. Trotz aller Kritik haben diese Bürgerbühnen einen gewissen Wert, da sie ein sicherer Rahmen sind um diese Kunstform weiterzuentwickeln. Daher müssen wir uns „nur“ über die freien Förderungen etwas hinzufinanzieren, wenn es sich zum Beispiel um die Übersetzung eines Projektes handelt. DolmetscherInnen für bestimmte Spezialbereiche (z. Bsp. Gebärdensprache) oder auch Fremdsprachen sind sehr kostspielig und mit den normalen Produktionsbudgets eines Theaters kaum finanzierbar. Bei partizipativen Projekten werden diese aber benötigt, um auf Augenhöhe mit allen TeilnehmerInnen arbeiten zu können. 

B. A. S.: Die Finanzierung partizipativer Projekte ist kompliziert. Einer der ersten Impulsgeber war die Kulturstiftung des Bundes mit dem Fonds „Heimspiel“, wo es gezielt um die Verbindung von StadtbewohnerInnen und Theaterhäusern ging. Wir haben es oft mit einem Netz aus festen Finanzierungen (z. Bsp. auf Bundeslandebene) und Drittmittelfinanzierung zu tun. 

L. G.: Es ist Fluch und Segen zugleich. Segen, da Partizipation sehr viel in den letzten zehn Jahren gefördert wurde. Gleichzeitig glaube ich, dass die Legitimierung, die man für diese Fördergelder erbringen muss, bei partizipativen Projekten höher ist. Dies liegt zumeist an den hohen Erwartungen, die KulturpolitikerInnen im Hinblick auf solche Projekte haben: sozialer Impact, gesellschaftliche Veränderungen, Inklusion, Teilhabe, usw.   

In diesem Wechselspiel zwischen der Wahrnehmung als Kunstform und der Legitimierung partizipativer Projekte (im sozialen oder kulturellen Bereich) ist ein großer Spagat nötig. Das gilt heutzutage nicht nur für die Freie Szene, sondern ebenso für Häuser wie Mannheim oder Karlsruhe. Drittmittelfinanzierung ist mittlerweile überall ein Thema geworden. 

L. M.: Wir erhoffen uns, dass unser überregionales Festival bei einer solchen Lobby-Arbeit einen Beitrag leisten kann. Es ist wichtig, dass wir uns mit der Kulturpolitik über Bedürfnisse austauschen, um zum Beispiel gezielte Förderprogramme entwerfen zu können. Es ist unsere Aufgabe diese Ideen zu generieren, um uns besser vernetzen und austauschen zu können. 

Wo sehen Sie das Festival in den kommenden Jahren?  

L. M.: Ich wünsche mir, dass das Festival einmal real umgesetzt werden kann, weil es den Vernetzungsgedanken verstärken würde. Ich würde gerne weiter an der Frage der „Common Places“ arbeiten: Wo treffen sich Gesellschaften? 

L. G.: Ich würde mich über eine internationale Adaption des Festivals freuen. Es wäre schön, wenn Kooperationspartner aus unterschiedlichen Ländern zusammenkommen könnten. 

B. A. S.: Ich wünsche mir, dass wir ins Gespräch kommen, sei es auf professioneller oder öffentlicher Ebene. Dass diese Gesprächsanlässe für alle gelten und sich jeder zur Teilnahme eingeladen fühlt. 

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