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Die Kulturküche Karlsruhe: Ein Interview mit der Schauspielerin und Mitbegründerin Galina Freund

Als ein Ort für ein gemeinsames Miteinander wurde die Idee der Kulturküche im Dezember 2019 ins Leben gerufen und sogleich in einem charmanten Haus in Karlsruhe umgesetzt. Die Türen stehen hier offen; jeder ist jederzeit eingeladen, selbst kreativ zu sein. Die Kulturküche als nachhaltiger Ort, in dem Menschen, Gastronomie, Künste und Gespräche aufeinandertreffen und sich austauschen – dies ist der Wunsch des engagierten Teams. Viele Köche verderben den Brei? Nicht in der Kulturküche Karlsruhe!

Wie lässt sich die Kulturküche Karlsruhe beschreiben?

Am Anfang habe ich uns immer als Bürgerbeteiligungzentrum präsentiert. Im Endeffekt sind wir ein Ort, an den die Menschen kommen können. Es ist sehr komplex, die Kulturküche in ein paar Sätzen zu beschreiben. Früher gab es viele soziokulturelle Zentren, in denen Soziales und Kultur miteinander verbunden wurde, aber wir sind noch ein Stück weiter gegangen: Wir möchten nicht nur, dass Soziales, Kunst und Kultur verbunden, sondern auch, dass den Menschen Nachhaltigkeit vermittelt wird. Wir laden alle BürgerInnen ein, die Lust haben sich in irgendeiner Weise in der Gesellschaft zu beteiligen, aber nicht wissen wie. Sodass alle wieder dazu befähigt werden, Gesellschaft mitzugestalten. Nach Jahrzehnten, in denen wir oft alles von oben gesagt bekommen haben, wissen viele gar nicht mehr, wie sie auf andere treffen, über ihre Gefühle sprechen und zusammen überlegen können, in welcher Zukunft wir leben wollen.

Es ist wie ein Experimentierort, aus dem Projekte entstehen und hoffentlich dann auch weiter in die Gesellschaft, in die Stadt und darüber hinaus getragen werden. Es ist ein Kraftort, der am besten in jedem Stadtviertel existieren sollte.

Foto: Jennifer Siegel

Warum war es so interessant, diese Art von soziokulturellen Ort ausgerechnet in Karlsruhe zu schaffen?

Das Projekt ist aus einem Workshop der Stadt entstanden, in dem es um die Entwicklung nachhaltiger Projekte ging.  

Durch die hier ansässigen Universitäten gibt es viele Studenten, die sich zum Beispiel mehr gesundes und preiswertes Essen außerhalb der Mensa wünschen. Unser Viertel ist durch die vielen Bauarbeiten leer geworden; viele Geschäfte haben zugemacht. Es ist ein sehr spezielles Viertel, da es direkt zwischen der Innenstadt, dem Universitätsviertel und dem Rotlichtviertel liegt. Leider sind wir Zeuge einer einsetzenden Verwahrlosung des Viertels… Es sollte also eine Aufwertung entstehen. Durch einen Workshop, an dem BürgerInnen und unser Verein teilgenommen haben, ist dieses Konzept entstanden.

Während dieser Zusammenkunft sagte ein befreundeter Gastronom: „Essen müssen alle!“. Also, man bekommt Menschen an einen Ort, indem man Essen anbietet. So wurde das regionale, saisonale und nachhaltige Essen sozusagen zum Türöffner unseres Konzeptes. Zudem finden hier Workshops, kulturelle Veranstaltungen, Vorträge, Podiumsdiskussionen statt… Alles, was das Herz begehrt und was die Menschen, die zu uns kommen, interessiert. Uns ist es wichtig, die Anfragen und Ideen der BürgerInnen umzusetzen.  

Welche Arten von Veranstaltungen bieten Sie im Bereich der Bühnenkunst an?

Die Pandemie hat uns bei diesem Vorhaben natürlich sehr eingeschränkt. Dennoch fragen wir uns immer: Was sind unsere kulturellen Säulen?

Wir allen glauben, dass mit dem Mittel der Kunst (darstellende oder bildende Kunst) viel aus einer anderen Perspektive vermitteln werden kann. Wenn wir diese Werkzeuge der Kunst in Workshops einfließen lassen, erhalten die Menschen andere Tools. Wir haben gerade einen Workshop, „AusdrucksSTARK“, in dem Jugendliche mit SchauspielerInnen kooperieren, um an ihrem Ausdruck und Selbstbewusstsein zu arbeiten. Schauspiel eignet sich sehr gut für solche Übungen. Das ist so eine Säule von uns: Wir benutzen diese Werkzeuge, um anderen Menschen neue Perspektiven zu geben. Die Kunst hat eine freie Perspektive, die einfach viel ermöglicht.

Unsere zweite Säule sind Menschen, die nicht aus der Kunst kommen, aber darin ein Hobby sehen oder sich darin gerne einmal versuchen würden. Wir möchten BürgerInnen eine Bühne geben. Hier dürfen sie Klavier spielen, mit ihrer Band oder ihrem Chor proben; hier können sie an Theaterstücken arbeiten…

Außerdem können hier professionelle KünstlerInnen aus den Bereichen Tanz, Schauspiel oder Musik ihre Stücke oder Performances darbieten. Wir würden auch gerne unter Eigenregie hier mit professionellen KünstlerInnen zur Geschichte des Hauses oder Themen, die uns sehr beschäftigen, arbeiten. Zukünftig möchten wir natürlich auch bildende KünstlerInnen in unseren Räumlichkeiten ausstellen.

Sie sind selbst Schauspielerin. Was hat Sie dazu motiviert, die Kulturküche aufzubauen? Schafft dieser Ort etwas, was in Theaterhäusern noch fehlt?

Interessante Frage! Vor zwei Jahren hätte ich eine klare Antwort darauf geben können, aber seitdem hat sich im Bezug auf Nachhaltigkeit viel in den Theater-und Kulturhäusern getan…
Was mich an der Kulturküche wirklich interessiert hat, ist genau das; also, dass man nicht immer neue Bühnenbilder baut und dass man auch in der Technik energieeffizient arbeitet. Ich hatte immer den Traum eines nachhaltigen Theaters, in dem man mit nachhaltigen DesignerInnen oder mit AusstatterInnen arbeitet, die Bühnenbilder so bauen, dass man sie wieder verändern kann. Ich dachte, dass die Kulturküche bestimmt ein solcher Ort sein könnte. Das Schöne ist, dass das Haus als eigenes Bühnenbild funktioniert. Hier kann man also im Kleinen an solchen Ideen feilen.

Ein Plus ist, dass wir klein sind. Wir entscheiden, was wir machen und daraufhin suchen wir die Gelder. Im Gegensatz zu uns müssen Theaterhäuser sehr früh planen und entscheiden, wie ihre Gelder verwendet werden sollen. Die Last der Bürokratie ist da oft so schwer, dass schnelle Entscheidungen schwierig werden.

Ich war vorher 20 Jahre am Theater, fest oder freischaffend. Ich bin eigentlich für unseren Verein „Künstler ohne Grenzen“ nach Karlsruhe gekommen, um hier mehr Projekte durchführen zu können. Dann kam die Idee der Kulturküche. Wir bekamen ein Angebot für das Haus und mussten uns schnell entscheiden. Seitdem bin ich mit von der Partie!

Wie kann Bühnenkunst Austausch schaffen?

Durch den Dialog! Reden hilft (lacht)! Ich wundere mich immer wieder, wie wenig wir miteinander in unsere Gesellschaft kommunizieren. Gleichzeitig freue ich mich zu sehen, wie viel in der Kultur besprochen wird. Die Kultur schafft einen Dialog. Sie zeigt etwas aus einer Perspektive und regt Menschen zum Nachdenken an. Das ist natürlich auch ein weiteres Plus in einem kleinen Haus: Wir können uns nach den Veranstaltungen direkt mit dem Publikum austauschen. Da ist keine Wand dazwischen. Das heißt, man hat eine ganzheitliche Erfahrung. Sie spricht alle Sinne an. Wenn wir uns dann noch darüber unterhalten können, dann bleibt sie länger haften.

Foto: Jens Arbogast

Wie schaffen Sie es, die BürgerInnen zu motivieren in die Kulturküche zu kommen? Wie kann dieser Ort tatsächlich für alle da sein?

Mit einem sehr langen Atem (lacht). Dann natürlich dank der Aufmerksamkeit der Presse und Social Media. Wir haben auch ein großes Plus mit der Küche, die einen Mittagstisch anbietet und mit Biobauern aus der Region zusammenarbeitet. Wir sind direkt gegenüber von der Uni; wir sind in der Nähe der Innenstadt, in der viele Menschen arbeiten. Oft betreten sie unsere Kulturküche und glauben in einem Restaurant zu sein. Aber dann bekommen sie sehr schnell mit, dass das nicht so ist, weil wir reden und reden! Jeder, der bei uns einkehrt, bekommt die Frage gestellt: „Bis du zum ersten Mal hier?“. Und dann erzählen wir sofort, was wir hier machen, geben Informationen und laden zum Wiederkommen ein. Wir reden wirklich mit allen, basteln Plakate, haben jüngere Teammitglieder für den Social Media-Bereich. Aber am Herzen liegt uns natürlich der direkte Austausch als ein Eins-zu-eins-Sprachrohr. 

Wie funktioniert die Kulturküche? Wer sind die Teammitglieder?

Wir sind ein gemeinnütziger Verein und möchten aber das Ehrenamt neu überdenken.

Ehrenamt soll sich leicht anfühlen, Spaß machen, flexibel sein und eben keine zusätzliche Verpflichtung bringen. Unserer Meinung nach kann das  nur funktionieren, wenn man Hauptamtliche hat; also Menschen, die fest für ihre Arbeit bezahlt werden und einen Rahmen für das Ehrenamt schaffen.

Wir haben ein Team von 8 Festangestellten und ca. 20 Honorarkräften, die sich um unterschiedliche Bereiche kümmern.. Wir haben einen pädagogischen Bereich, dadurch das wir auch noch zusätzlich ein Integrationsbetrieb sind. Wir haben Menschen in unserem Team, die Schwierigkeiten haben auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen (Menschen mit Behinderungen; Menschen, die aus herausfordernden Biografien oder mit einem Fluchthintergrund kommen, ehemalige Suchtabhängige…). Damit diese eine Begleitung für den Eintritt in die Arbeitswelt bekommen, haben wir PädagogInnen im Team. Wir haben auch Menschen, die sich um die Nachhaltigkeit kümmern wie, zum Beispiel, eine Agrarbiologin. Dann haben wir Leute aus dem Kunst-und Kulturbereich. Und natürlich haben wir auch Leute für die Küche und den Service. Wir haben mehrere Teams, die sich gegenseitig überschneiden und unterstützen.

Wie verhält es sich mit dem Finanzierungskonzept der Kulturküche Karlsruhe? Wie werden Sie unterstützt? 

Unser Finanzierungskonzept gestaltet sich folgendermaßen: Der Gastronomiebereich trägt sich durch den Mittagstisch selbst, der soziale und kulturelle Bereich wird durch Fördergelder, Spenden und Sponsoren getragen. Dieses Konzept, das auf  Netzwerkarbeit , Kulturveranstaltungen und kulinarischen Events beruht, brach aber aufgrund von Corona zusammen.

Überlebt haben wir bisher durch Anschubfinanzierungen von Stiftungen, Privatspenden, Förderung von Lions Clubs und einem Zuschuss der Stadt. Viele dieser Geldquellen sind im Oktober 2021 zu Ende gegangen.

In den ersten drei Monaten, also kurz vor der Pandemie, hatten wir bereits einen großen Zulauf. Wir hatten 200 Mittagessen; wir hatten abends Veranstaltungen – und das ist alles mit einem Mal eingebrochen. Durch die Pandemie ist es schwierig gewesen, neue Finanzierungen für den sozialen und kulturellen Bereich zu finden. Das heißt, wir konnten diese ganzen Vorhaben gar nicht in den letzten zwei Jahren kontinuierlich aufbauen.

Deswegen haben wir jetzt einen großen Spendenaufruf gestartet. Zusätzlich zu den Bundesgeldern und den Stiftungen überlegen wir natürlich, wie wir mit Großfirmen und Sponsoren kooperieren können, in dem sie zum Beispiel die Räumlichkeiten nutzen oder ihre MitarbeiterInnen unser Angebot ehrenamtlich ausprobieren können. Da haben wir ganz unterschiedliche Ideen.

Foto: Jens Arbogast

Wo sehen Sie die Kulturküche Karlsruhe in 10 Jahren?

In jeder Stadt (lacht)!

Seit letztem Jahr gibt es die Stiftung Kraftnetz, die Gemeinschaft bilden und Einsamkeit abschaffen möchte. Das zum Beispiel durch sogenannte Kraftorte und deren Vernetzung. Die Kulturküche Karlsruhe ist ein solcher Kraftort. Menschen kommen zu uns und können viel erleben, selbst gestalten und dadurch neue Kraft sammeln. Das können auch Firmen sein. Die Stiftung möchte natürlich, dass es viele Kraftorte gibt, und das nicht nur in Karlsruhe.

Wir kennen eine Person, die ein solches Konzept in Wien aufbauen möchte. Sie wird sich der Struktur der Kulturküche bedienen und diese mit Menschen vor Ort und nach ihren Bedürfnissen gestalten. Wir wissen auch von einem Verein, der zwischen Deutschland und Malawi eine Brücke baut, und sich ein Jugendzentrum als Kraftort vorstellt… Der Inhalt ist im Endeffekt egal, denn es geht einzig und allein darum, den Menschen Kraft zu geben und einen sehr vielfältigen Ort zu gestalten, der fast wie ein Wohnzimmer ist, in dem man im Sessel sitzen und sich Theater anschauen kann. Natürlich wäre es schön, wenn man in strukturschwächere Regionen oder Gebiete gehen und dort mit den BewohnerInnen Zentren und Orte schaffen könnte, die dort auf lange Sicht neues Leben einhauchen. Immer natürlich in einer gemeinsamen Reflexion über die Bedürfnisse und die Wünsche der Menschen.

Interview: Chloé Lefèvre
Am 13. Dezember 2021 in Karlsruhe
Foto: Jennifer Siegel

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