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Damian Gmür: „Ich schätze die technologischen Möglichkeiten sehr.“ I Theater Pforzheim

Damian Gmür vom Theater Pforzheim im Gespräch über Online-Trainings und die Zusammenarbeit in Corona-Zeiten. Ein für szenik freundlicherweise zur Verfügung gestelltes Interview des Theaters Pforzheim.

Wie erleben Sie die Zeit?

Damian Gmür: Turbulent. Wir sind isoliert auf uns selbst in unseren Wohnungen zurückgeworfen und zur Entschleunigung gezwungen. Ich spüre, wie sich bei vielen eine belastende Unruhe bemerkbar macht. Viele Menschen treibt momentan die Sorge um das Überleben um, um ihre berufliche Zukunft, aber auch um Überleben geliebter Menschen. Corona trifft alle Menschen dieser Welt. Ich sehe aber auch: Wir sitzen nicht alle im gleichen Boot, auch wenn wir uns im gleichen Sturm befinden. In Wahrheit sitzen wir in ganz verschiedenen Booten. Und es gibt Boote, die sind groß und komfortabel und in denen sich der Sturm sogar manchmal vergessen und gut aushalten lässt. Andere Boote fangen an zu sinken. Das macht mir Sorgen. 

Wie reagieren Sie darauf? 

Ich fühle mich zur Solidarität verpflichtet und ich spende mehr als sonst, für Dinge, die ich zumindest mit kleinen Summen unterstütze. Solidarität braucht diese Welt gerade jetzt, um nicht zu zerbrechen.

Sprechen wir über Ihr Boot. Sie verbringen normalerweise viele Stunden gemeinsam mit den Tänzer*innen des Ballett Theater Pforzheim, Ihrem Team und den Kolleginnen und Kollegen. 

Ich verlasse die Wohnung nur einmal die Woche zum Einkaufen. Ich werde also gerade ziemlich radikal auf mich selbst zurückgeworfen. Das zu mir persönlich. Ich empfinde die ungewohnte Stille aber auch als inspirierend, die Ruhe lässt mich Momente intensiver erfahren. Es ist ein wenig wie mit dem Leuchten der Sterne – sobald die störende Lichtverschmutzung verschwindet, sieht man die Sterne wieder klar.

Der Körper ist Ihr wichtigstes Arbeitsmittel und künstlerisches Werkzeug. Hat sich Ihr Nachdenken über den Körper verändert?

Ich frage mich derzeit schon mehr: Wie viel Zeit verbringen wir damit, uns in unserem Körper, der ja unser Zuhause ist, wohlzufühlen? Genießen wir unsere körperlichen Fähigkeiten und unsere Leistungsfähigkeit? Wie oft kommunizieren wir mit uns selbst? Sind im Dialog mit uns? Haben wir ein Bewusstsein dafür, was in uns, in unserem Inneren geschieht und wie erfüllend das sein kann, dies ein Leben lang zu entdecken? Vielleicht zu selten. Vielleicht fühlt sich diese Zeit deshalb so bedrohlich an. Das fehlende Wissen bezüglich des menschlichen Körpers ist für mich oft erschreckend.

Foto: Helen Ree

Was bedeutet das für den Tanz?

Tanz basiert auf hoch entwickelten Sinneswahrnehmungen und einer hohen Empfindungsfähigkeit. Über Propriozeptoren nehmen wir alle ständig äußere Impulse auf, übersetzen sie in körperliche Sinneswahrnehmungen, die wiederum vom Körperbewusstsein überwacht werden. Unsere Wahrnehmung ist dabei selektiv. Wir können zum Beispiel die Vögel hören, wenn wir auf der Straße gehen, oder den Gesichtsausdruck einer vorbeikommenden Person beobachten, Duft von frisch gebackenem Brot in der Luft riechen oder einen Kaugummi im Mund schmecken. Oder wir können alle oben genannten Dinge gleichzeitig wahrnehmen. 

Wir bestimmen selbst, auf was wir unsere Aufmerksamkeit richten. Wenn unsere Fähigkeiten zur Aufnahme und Reaktion auf Sinnesinformationen entwickelt sind, haben wir auch mehr Wahlmöglichkeiten – im Tanz ganz konkret in Bezug auf die Koordination von kreativen, neuen Bewegungen und Körperfunktionen – aber am Ende auch im alltäglichen Leben, die Welt so wahrzunehmen, damit der Moment zählt und wir bereichert werden.

Sind Sie in Kontakt mit den Tänzerinnen und Tänzern und Ihrem Team?

Täglich und ich vermisse sie sehr. Es hilft, dass wir vieles online machen können. Ich schätze von daher die technologischen Möglichkeiten sehr. Wir trainieren als Company täglich gemeinsam und verabreden uns online für Teammeetings. Damit halten wir den Arbeitsalltag aufrecht und die Gemeinschaft lebendig; die Tage der Tänzerinnen und Tänzer behalten, wenn auch eingeschränkt, ihre Struktur.  Es ist für sie nochmals anders, teilweise alleine wohnend in einem fremden Land, diese Zeit zu überstehen.

Außerdem erarbeiten wir derzeit ein Re-Enactment des Balletts „Die vier Jahreszeiten“ als vierteiligen Videoclip (https://www.youtube.com/watch?v=gbZPpEPDZJA), bis Mitte Mai wird der letzte Clip „Winter“ veröffentlicht sein. Was uns außerdem besonders freut: Wir bieten unser Online-Training seit vergangener Woche unter unserer „Tanzakademie für Alle“  allen an, die Lust haben, unser Training kennenzulernen. Wir bekommen begeisterte Rückmeldungen. Es kann sich jeder bei uns melden, der mag. 

Being human I Gemeinschafts-Videoprojekt des Theater Pforzheim

Was ist beim Online-Training anders als real im Ballettsaal?

Obwohl wir nicht den gleichen Raum teilen, spüre ich in den täglichen Online-Trainingsmit unseren Profis physische Verbundenheit und Nähe. Dennoch ersetzt das nicht die echte Begegnung. Das am meisten Herausfordernde ist die unvollständige Rückkoppelung: Im Tanz müssen Informationen mit allen Sinnen erfasst werden können. Über einen Bildschirm ist das nur begrenzt möglich. Es ist mir nicht möglich, vollständig zu erfassen, ob jede Information beim Tänzer ankommt und wie sie umgesetzt wird. Das Wichtigste ist aber: Wir wollen soweit wie möglich physisch und geistig fit bleiben und da anknüpfen können, wo wir aufgehört haben. „Die vier Jahreszeiten“ sind sehr gut beim Publikum angekommen. Ich wünsche zudem sehr, dass wir bald wieder zumindest mit den Proben für den neuen Tanzabend „Tanz Pur“ weitermachen können.

Bis zum Corona-Shut Down haben Sie an ihrer neuen Uraufführung gearbeitet. Menschliche Nähe und Berührungen waren das zentrale Thema. Hat sich das Thema nun verändert?

Nein, aber radikal erweitert. Die Kraft der Sinne ermöglicht es uns auch, Dinge zu spüren, die gar nicht real sind. Ich kann Nähe zu Menschen empfinden, obwohl ich alleine bin und die anderen weit weg sind. Sie sind dann bei mir in der Stille. Eine Erkenntnis, die ich mitbedenken werde. 

Was glauben Sie: Wie werden Sie und die Company die tägliche Arbeit wieder aufnehmen? Wird eine Rückkehr in die Nähe möglich sein?

Ich bin schon gespannt darauf, wie stark uns bis dahin diese Zeit und die damit verbundenen Erfahrungen geprägt haben. Ein Echo, eine Erinnerungsspur im Körper wird auf alle Fälle bleiben. Dennoch hoffe ich aber auch, dass vor allem Positives lange nachhallt. Wie wir dann die neue Nähe strukturieren, also ob wir dann, wie der Fußball, zuerst in kleineren Teams und nacheinander arbeiten, wird sich in den kommenden Wochen entscheiden.


Weitere Informationen zu dem Gemeinschafts-Videoprojekt „Being human“ (basierend auf dem Ballett „Die vier Jahreszeiten“): www.szenik.eu

Die „Tanzakademie für Alle“ findet immer mittwochs ab 18 Uhr, kostenlos, statt. Anmeldungen per E-Mail an: alexandra.karabelas@pforzheim.de.


Foto: Johannes Blattner

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