Der Performer, Darsteller und Regisseur Ben Rentz ist ein aufstrebender Stern am Karlsruher Bühnenhimmel. Von seiner Leidenschaft zum Theater getrieben, nimmt der 21 jährige Künstler jede Gelegenheit wahr, um sich vor oder hinter der Bühne zu behaupten. Zu Beginn der Spielzeit präsentierte er nun seine erste Regiearbeit „ruminate“, welche sich tänzerisch mit dem Phänomen des Over-Thinking auseinandersetzt. Im Gespräch mit szenik berichtet er von seinen Gedanken zu diesem noch unbekannten Thema, seiner Suche nach Stillstand und dem Karlsruher Produktionsbüro productions performing arts, welches er zusammen mit Yoreme Waltz mitbegründet hat.
In deiner letzten Performance « ruminate » hast du dich mit dem Thema « Over-Thinking » beschäftigt. Kannst du uns erklären, was das genau ist und warum du dich für dieses Thema interessiert hast und es auf die Bühne bringen wolltest? Warum hast du dich für den Titel « ruminate » entschieden?
Das Phänomen «Over Thinking » hat sich vor allem bei jungen Menschen durch die Covid-19-Pandemie verstärkt. Dabei kreisen die Gedanken in endlosen Schleifen; jede Situation wird konstant überdacht und es fällt schwer, Entscheidungen zu treffen. Es führt zu einem « overload » und ist unkontrollierbar.
Der Begriff « Over-Thinking » hat mir schon immer was gesagt; auch im Gespräch mit Freund:innen ist der Begriff oft gefallen, dennoch war mir seine genaue Definition nicht bekannt. Ich habe eine Recherche zum «Over Thinking» begonnen und herausgefunden, dass das Phänomen in der Psychologie in mehrere Kategorien eingeteilt wird und sah ich mich selbst darin widergespiegelt. Ich habe versucht, mich weiter in das Thema einzulesen, aber leider ist dieses Gebiet noch sehr unerforscht. Also habe ich begonnen, mit meinem Umfeld darüber zu sprechen und gemerkt, wie weit verbreitet es ist.
Der Titel « ruminate » ist erst spät im Arbeitsprozess entstanden. Der Begriff bezieht sich einerseits auf das Wiederkäuen, was bei Kühen oder Säuglingen ausgeprägt ist, und zum anderen auf einen langen Denkprozess. Ich fand diese Schnittstelle sehr spannend, weil unser Stück durch den Körper erzählt wird, wogegen « Over-Thinking » eine Sache ist, die im Kopf stattfindet.
Die Bilder und Videos, die wir von „ruminate“ gesehen haben, sehen sehr ästhetisch und kraftvoll aus. Was kann deiner Meinung nach der Körper aussagen, woran die Worte scheitern oder nicht ausreichen?
Aus meiner Sicht war der Tanz die richtige Ausdrucksform, um dieses Thema darzustellen. Ich kann nur über meine subjektive Sicht des “Over-Thinking” erzählen. Mir war es wichtig, Raum für Interpretation zu lassen. Ich finde, dass die Sprache meistens eine Situation konkretisiert, während der Körper über ein breites Spektrum an Ausdrucksmöglichkeiten verfügt. Körper erzeugen abstrakte Bilder, die eine Auswirkung auf die Zuschauer:innen haben können. Bei dem “Over-Thinking” handelt es sich auch um abstrakte Gedanken und Denkmuster, die ich durch den Körper zeigen wollte.
Für « ruminate » hast du mit Jugendlichen gearbeitet. Wie hast du diese Kooperation erlebt? Kannst du uns mehr über deine Vorgehensweise sagen?
Ich habe erst einmal Fragebögen ausgestellt, die jede:r Darsteller:in anonym ausfüllen konnte. Aus den Antworten habe ich Sätze und Wörter ausgesucht, welche die Jugendlichen in Bewegungen ausgedrückt haben. Diese Recherche habe ich eingehend studiert, bis wir im Mai 2022 mit der szenischen Umsetzung begonnen haben. Von der Bewegungssprache her ist das Stück mit dem Ensemble gemeinsam entstanden und ich habe die Zustellung der Choreografie bestimmt. Wir haben eine gemeinsame Sprache entwickelt.
Am 4. September war « ruminate » fertig und am 6. September hatten wir eine andere Performance auf dem Marktplatz organisiert für die wir nur ganz kurze Probenzeit hatten. Erst nach dieser ersten Vorstellung ist uns wirklich bewusst geworden, dass wir eine gemeinsame Sprache entwickelt haben. In diesem intensiven Arbeitsprozess ist eine schöne Gruppendynamik entstanden. Man kann nicht erkennen, dass es sich um die Arbeit von Laien handelt.
Was würdest du jungen Menschen, die unter « Over-Thinking Syndrom » leiden, empfehlen, um aus diesem gedanklichen Teufelskreis rauszukommen?
In erster Linie ist es wichtig, darüber zu sprechen. Während der Recherchearbeit haben wir mit einem Mitarbeiter der psychologischen Beratungsstelle in Karlsruhe ein Interview geführt. Er erklärte uns, dass sehr viele junge Menschen von diesem Syndrom betroffen sind und dass wir uns noch am Anfang der Forschung befinden.
Wir sprachen mit ihm über unsere heutige Gesellschaft. Es wird jungen Menschen gesagt, dass ihnen die Welt offen steht, dass sie zahlreiche Möglichkeiten haben. Dies ist natürlich großartig; es kann aber zugleich sehr beängstigend sein. Täglich müssen zahlreiche Entscheidungen getroffen werden; dies kann belastend auf den Körper und Geist wirken.
Wir haben uns für den Tanz entschieden, weil der Körper eine Verlässlichkeit darstellt und ein anderes Gewicht hat. Wie kann Selbstwirksamkeit erfahren werden? Die Antwort ist: durch die Körperlichkeit. Während der Pandemie gab es keine physische Nähe; alles wurde in den Kopf verlagert. Für Jugendliche war dies sehr schwierig, da sich in ihrem Alter der Körper stark verändert und eine wichtige Referenz darstellt.
Du hast selbst als Darsteller gearbeitet und bist nun Regisseur in diesem Tanzstück. Ergänzen sich diese zwei Tätigkeiten deiner Meinung nach?
Es handelt sich um zwei verschiedene Arbeiten und Ansätze. Ich habe als Performer angefangen. Dies ist mir sehr wichtig gewesen, weil ich dadurch als Regisseur die Darsteller:innen besser verstehen und ihre Sichtweise nachvollziehen kann. Dies ermöglicht mir eine Arbeit auf Augenhöhe. Ich bin für diese Erfahrung sehr dankbar. Zu wissen, wie es sich anfühlt, hinter dem Vorhang auf den Beginn der Aufführung zu warten und zu wissen, dass man den Abend rocken muss. Es ist ein unglaubliches Gefühl. Es gibt natürlich immer Dinge, die nicht wie geplant über die Bühne gehen…, aber davon lebt das Theater.
Was möchtest du dem Publikum mitgeben? Und wie haben die Zuschauer:innen auf das Stück reagiert?
Unser Ziel war es, ein junges Publikum zu erreichen und darüber bin ich sehr dankbar, weil es keine Selbstverständlichkeit ist. Wir haben vorab viel mit Jugendlichen gesprochen. Wir waren in Schulen und haben Vor-und Nachgespräche angeboten. Dieses Engagement war mir wichtig, denn ich wollte nicht, dass aus den Schulvorstellungen eine Art “belehrende Pflichtveranstaltung” wird.
Die Rückmeldungen waren in allem sehr positiv und wir konnten uns gut mit dem Publikum austauschen. Unser Ziel war es, Bilder mitzugeben und über dieses Thema nachzudenken. Und ich denke, dies haben wir erreicht.
Wie würdest du deine Bühnensprache beschreiben?
Ich befinde mich immer noch in einem Suchprozess und arbeite an der Schnittstelle zwischen Struktur und Stille. Die Performer:innen haben sich oft darüber amüsiert, wenn ich um mehr Langsamkeit gebeten habe. Ich bin ein großer Fan von Stillstand. Dies hat sich bei “ruminate” stark herauskristallisiert. Diese Angespanntheit oder Unangenehmheit, die Zuschauer:innen fühlen, wenn es im Theatersaal dunkel und still ist, finde ich sehr spannend. Ich möchte den Stillstand als Gegenwirkung zum Over-Thinking benutzen. Daher haben wir versucht, einen Ruhepol zu kreieren. Auf der Basis dieses Experiments möchte ich weitermachen.
Für « ruminate » hast du mit der Komponistin und Pianistin Ada Meret Helene Brack gearbeitet. Welche Einflüsse übt die Musik in deiner Arbeit aus? Kommt zuerst das Bild oder die Musik?
Es ist das erste Mal, dass ich so intensiv mit Musik arbeite. Helene war von Anfang an mit ihrem E-Piano bei den Proben dabei. Die Musik ist durch Improvisation, parallel zur Choreographie entstanden. Ihre ersten Impulse hat sie sich durch unsere Bewegungen geholt. Erst als wir mit der konkreten Arbeit an den Szenen begonnen haben, hat sie klare Motive eingespielt. Ich bin sehr dankbar, sie kennengelernt zu haben. Sie ist eine unglaublich begabte Musikerin. Noch während der Endproben hat Helene an ihrer Bachelorarbeit in Psychologie gearbeitet und blieb dennoch bis spät in die Nacht, um mit uns an der Musik zu feilen.
In deiner Arbeit ging es auch darum, eine Balance zwischen Performance, zeitgenössischem Tanz und modernem Theater zu kreieren. Hast du diese Balance gefunden?
Ich glaube, dass ich die Balance am Ende des Projekts gefunden habe. Es war ein intensiver Prozess, weil die Bewegung neu für mich war. Alle drei Ausdrucksweisen und Mittel haben sich am Ende gut ergänzt, und wurden vom Ton sowie dem Bühnenbild gut abgerundet.
Eine wichtige Inspiration sind Tanzstücke, die ich über die Jahre erlebt habe; seien es Arbeiten von Pina Bausch, La Veronal, Sasha Waltz… Dabei habe ich viel über Aufbau und Funktionsweisen gelernt. Aus dem Theater kommend, habe ich verstanden, dass Tanz Körper zeigt und keine Charaktere. Ich habe mich von der Arbeit anderer Choreograph:innen und meinen eigenen Sinneserfahrungen ernährt.
Weißt du noch, wann die Bühnenliebe bei dir begonnen hat zu sprießen?
Hat sich dein Blick auf Theater / Tanz als Raum für Diskurs und Inspiration durch deine eigenen Erfahrungen geändert?
Ich habe ursprünglich eine Ausbildung zum Produktdesigner gemacht und parallel mein Abitur in der Abendschule nachgeholt. Es war aber mein Wunsch, Schauspieler zu werden. Seit 2011 habe ich in verschiedenen Häusern, dem Badischen Staatstheater, dem Kammertheater und dem Werkraum, als Performer oder Statist gearbeitet. Nach und nach kam das Interesse an der Regie. “ruminate” ist meine erste Berührung mit Tanz. Dies verdanke ich der Kooperation mit Yoreme Waltz und den vielen Vorstellungen, die wir zusammen besucht haben.
Das Theater bringt Menschen für eine intensive, wenn auch kurze Zeit zusammen. Ich war sehr lange bei den Pfadfindern, aber die Verbindung, die man zu den Menschen am Theater aufbaut, ist unvergleichbar. Es entstehen starke Freund:innenschaften. Das ist auch ein Grund, warum ich das Theater liebe, weil es so viel mit den Menschen macht, sowohl bei den Darsteller:innen als auch beim Publikum. Das Theater ermöglicht, Menschen auf eine ganz andere Art und Weise zu erleben und zu erfahren. Mir ist diese Begegnung wichtig, vor allem, weil sie nicht selbstverständlich ist.
Du hast das Produktionsbüro « productions performing arts » mit Yoreme Waltz mitbegründet, um Akteur:innen der freien Szene organisatorisch, finanziell oder dramaturgisch bei Projekten zu beraten. Ermöglicht dir diese Arbeit, neue Perspektiven als Darsteller und Regisseur zu gewinnen?
Yoreme und ich haben das Büro 2021 gegründet. Anfangs wussten wir nicht, wohin die Reise genau gehen sollte. Wir haben sehr viel in diesem letzten Jahr gelernt. Seit dem Beginn, und vor allem durch die Sichtbarkeit unserer Arbeit auf Instagram, haben wir viele Anfragen bekommen. In diesem ersten Jahr haben wir uns teilweise verausgabt, daher haben wir uns hauptsächlich für Projekte aus Karlsruhe entschieden. Dies soll aber nicht so bleiben.
Als wir mit der Arbeit an “ruminate” begonnen haben, mussten wir schwierige Entscheidungen treffen um allem gerecht zu werden. Ein Stück zu inszenieren, braucht seine Zeit. Es ist ein Suchprozess, bei der man eine eigene Sprache und einen eigenen Stil finden muss.
Mal vom finanziellen Aspekt abgesehen, welchen Herausforderungen sehen sich Künstler:innen der freien Szene ausgesetzt? Wie blickst du dabei auch auf den Künstleraustausch in dieser grenzüberschreitenden Region?
Ich glaube, dass der zweitwichtigste Aspekt in dem Austausch zwischen Künstler:innen liegt. Karlsruhe bietet zwar viele Institutionen an, in denen ein Austausch stattfindet (die Akademie der bildenden Künste…usw.). Es ist aber schwierig, einen Zugang zu diesen Kreisen zu finden, wenn man selbst nicht Teil von ihnen ist.
Es gibt die “Initiative Tanz Karlsruhe”, in der man sich treffen und ins Gespräch kommen kann. Ich finde, dass solche Projekte verstärkt werden und sich an junge Menschen richten sollten. Mich bewegt, was andere Künstler:innen in meinem Alter machen. Es ist mir zwar auch wichtig, von erfahrenen Künstler:innen und Kunstschaffenden zu lernen, aber ich bin mehr an einem Austausch mit Gleichaltrigen interessiert.
Ich möchte wissen, ob wir uns mit denselben Themen beschäftigen, wo wir uns treffen, was ihre Visionen und Vorgehensweisen sind. Ich lerne davon viel mehr.
Was sind deine Wünsche für die Zukunft, bzw. wo siehst du dich in den kommenden Jahren? Ist Performance die einzige Ausdrucksweise für dich oder möchtest du andere Kunstformen ausprobieren? Wenn ja, welche ?
Ich würde gern studieren, weil das schon lange auf meiner Liste steht. Ich würde gern raus aus Karlsruhe, um meinen Blick zu erweitern und neue Eindrücke zu gewinnen. Ich möchte mich mit Professor:innen und mit Student:innen austauschen und ein anderes „Know-How“ bekommen. Als Künstler und Mensch würde mir dies sehr gut tun. Ich möchte weiterhin an der Schnittstelle zwischen Regie und Choreographie arbeiten.
Es ist wie beim Tanzen: Go with the flow!. Mal schauen, wo es hingeht.
Interview: Perrine Martin
Foto Ben Rentz: Bernd Hentschel